Donnerstag, 1. März 2012

Die ersten Züge der Philosophie - Dialektik der Verzehrung


Gewohnt gelassen leitet Luhmann das interintellektuelle Gespräch zum Thema "Das Rauchen - Schlecht oder doch gut?" ein:
Praxis kommt ja in der modernen Gesellschaft kaum noch vor. Rauchen wäre eines der wenigen Beispiele, die einem spontan einfallen; aber das betrifft dann nur die Zigarettenindustrie.
(Wirtschaft der Gesellschaft) 
Kant fühlt sich durch die nachlässige Flapsigkeit zu maßregelnder Korrektheit provoziert. Das Rauchen scheint ihm doch eine Sache zu sein, die einer ernsthafterer Beschäftigung fähig ist. Er will Grundlgendes klären: Zu den subjektiveren Sinnenempfindungen gehörten, meint er schnippisch, auch solche, 
die bloss subjektiv sind und auf die Organe des Riechens und Schmeckens durch einen Reiz würken, der doch weder Geruch noch Geschmack ist, sondern als die Einwirkung gewisser fixer Salze, welche die Organe zu spezifischen Ausleerungen reizen, gefühlt wird; daher denn diese Objekte nicht eigentlich genossen und in die Organe innigst aufgenommen werden, sondern nur sie berühren und bald darauf weggeschafft werden sollen; eben dadurch aber den ganzen Tag hindurch (die Essenszeit und den Schlaf ausgenommen) ohne Sättigung können gebraucht werden. – Das gemeinste Material derselben ist der Tobak, es sei ihn zu schnupfen, [...] oder auch ihn durch Pfeifenröhre, wie selbst das spanische Frauenzimmer in Lima durch einen angezündeten Zigarro, zu rauchen. [...] – Dieses Gelüsten [...] ist, als blosse Aufreizung des Sinnengefühls überhaupt, gleichsam ein oft wiederholter Antrieb der Rekollektion der Aufmerksamkeit auf seinen Gedankenzustand, der sonst einschläfern, oder durch Gleichförmigkeit und Einerleiheit langweilig sein würde; statt dessen jene Mittel sie immer stossweise wieder aufwecken. Diese Art der Unterhaltung des Menschen mit sich selbst vertritt die Stelle einer Gesellschaft; indem es die Leere der Zeit statt des Gespräches mit immer neu erregten Empfindungen und schnell vorbeigehenden, aber immer wieder erneuerten, Anreizen ausfüllt.
(Anthropologie in pragmatischer Absicht)
Kants Anregungen greift ein umwölkter Husserl auf. Der sieht allerdings im Rauchen vor allem einen legitimem Treibstoff zur Beförderung des theoretischen Interesses:
Ein Gefühl kann uns berühren, ohne uns einzunehmen, und es braucht gar nicht schwach zu sein. Ich rauche eine Zigarre mit Lust, aber die Lust füllt mich nicht aus, vielmehr das theoretische Interesse, das indirekt von ihr Nutzen zieht. Manchmal mag es umgekehrt sein. Die Lust des Rauchens nimmt mich in Beschlag, das theoretische Interesse ist gering. Im einen Fall bin ich der Sache theoretisch zugewendet und nicht der Lust; im anderen Fall der Lust mitsamt ihrem sinnlichen Inhalt.
(Wahrnehmung und Aufmerksamkeit) 
Adorno ist empört. In allen bisherigen Ausführungen sieht er nichts als die masochistischen Auswirkungen des allgemeinen Verneblungszusammenhangs am Werk, er nippt ein letztes Mal kultiviert am Wein: Versuch einer Klarstellung:
Einem bestimmten Gestus der Männlichkeit, sei's der eigenen, sei's der anderer, gebührt Mißtrauen. [...] Archetypisch dafür ist der gut Aussehende, der im Smoking, spät abends, allein in seine Junggesellenwohnung kommt, die indirekte Beleuchtung andreht und sich einen Whisky-Soda mischt: das sorgfältig aufgenommene Zischen des Mineralwassers sagt, was der arrogante Mund verschweigt; daß er verachtet, was nicht nach Rauch, Leder und Rasiercreme riecht, zumal die Frauen, und daß diese eben darum ihm zufliegen. [...] Die Freuden solcher Männer [...] haben allesamt etwas von latenter Gewalttat. [...] Wenn alle Lust frühere Unlust in sich aufhebt, dann ist hier die Unlust, als Stolz sie zu ertragen, unvermittelt, unverwandelt, stereotyp zur Lust erhoben: anders als beim Wein, läßt jedem Glas Whisky, jedem Zug an der Zigarre der Widerwille noch sich nachfühlen, den es den Organismus gekostet hat, auf so kräftige Reize anzusprechen, und das allein wird als die Lust registriert. Die He-Männer wären also ihrer eigenen Verfassung nach, als was sie die Filmhandlung meist präsentiert, Masochisten. Die Lüge steckt in ihrem Sadismus, und als Lügner erst werden sie wahrhaft zu Sadisten, Agenten der Repression.
(Minima Moralia)

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