[RP 20.11.11]
Wer für Selbstaneignung eintritt, der muss damit rechnen, dass die ewigen Kritiker der Verwertung ihn mit der Frage zu provozieren versuchen, ob sein Engagement für Engagement nicht letztlich einem liberal-ökonomischen Impuls verpflichtet bleibt, der den Einzelnen heimlich - und mit der dazu nötigen List der Vernunft - zu einem kalkulierenden Verwerter seiner Lebenschancen und -appetite umzuqualifizieren versucht. Das mag natürlich sein. Aber wie sähe denn die Alternative aus? Aktive Selbstverunmöglichung?
Eine Frage der klugen Wahl der Ziele, für die man sich wirklich engagieren (lassen) will. Die wird gerade in Strukturen akut, die eigene Ambitionen und Eitelkeiten bewusst provozieren, Angebote zur eigenen Verausgabung mit dem leisen Versprechen verbinden, man könnte - Überverausgabung fröhlich in Kauf nehmend - bald schon zu den wenigen glücklich Auserwählten zählen, oder zumindest die Leiter des symbolischen Kapitals ein signifikantes Stück nach oben klettern. Aber möglicherweise ist das alles auch noch eine Spur zu ernst:
Mit aller mir zu Gebote stehenden Leidenschaft bin ich bemüht, mir gewisse Wege und Möglichkeiten (so z.B. Karriere, Erfolg, eine bürgerliche Existenz u. dgl.) völlig und für alle Zeit zu verlegen. Mein gegenwärtiges Leben ist dazu angetan, mich in dieser Absicht kräftig zu unterstützen. Von Zeit zu Zeit, wenn die verdächtige "Harmonie" meiner Natur sich durchringt, wittere ich Unrat und bin instinktiv bemüht, irgendeine Torheit, einen Fehltritt, einen Verstoß zu begehen, um mich vor mir selbst wieder herunterzubringen. Ich darf gewisse Talente und Fähigkeiten nicht aufkommen lassen. Mein höheres Gewissen, meine Einsicht verbieten mir das.
(Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit)
Anderen Alternativen jedenfalls fehlt häufig scheinbar der nötige Schneid. Irgendwo irgendwie dazwischen sich einrichten: "das ist doch nicht radikal genug". Die Gesamtverhältnisse müssen auf jeden Fall ganz und von Grund auf -- von wo ganz anders her -- geändert werden.
Der Totalitarismus der Kritik duldet kein "Dazwischen" und keinen "Kompromiss", er will Revolution, keine Reform. Seine regressive Trotzigkeit verbirgt er dabei geschickt hinter der scheinbaren Selbstverständlichkeit des "Ganz oder gar nicht". Allerdings kommt diese verständliche Sehnsucht nach der absoluten Alternative über die radikalistische Geste und den mit ihr verbundenen moralischen Fingerzeig auf die vermeintlichen "Kollaborateure des falschen Lebens" selten hinaus. Sie übersieht, dass "totale Kritik" und "Weitermachen" sich gegenseitig immer schon ausgeschlossen haben. Wer "alles das hier" so kritisiert möchte, der wird sich "in diesem Leben" schwer damit tun, sich am System nicht die Finger schmutzig zu machen oder schlichtweg zu sich selbst in unbequemen, offenen oder latenten Widerspruch zu treten.
Gibt es andere Formen des Umgangs mit der unternehmerischen Anrufung [...]? Wie könnten Alternativen zu Enthusiasmus, Ironie und Melancholie aussehen? Eine pragmatische Gelassenheit vielleicht, die weder glorifiziert noch dämonisiert, der die hochgetunte Selbstmobilisierung des Enthusiasten so fern liegt wie die angestrengte Selbstdistanzierung des Ironikers oder die behagliche Selbstgewissheit des Dagegenseins, die der Melancholiker kultiviert. [...] Eine taktische Klugheit, welche die Listen der Simulation, des Abtauchens und des détournement beherrscht und den Aktivierungsfuror der Förderer und Forderer ins Leere laufen lässt.
Falsches Ziel gewählt?
"No matter. Try again. Fail better"
(Cyberdees, CC BY-NC-SA 2.0)
Fuest: Das Pathos, die Larmoyanz, all das, was die Melancholie ausmacht, das hat man naturgemäß zu korrigieren über den Witz. Sich selbst ernst nehmen ist die größte Katastrophe, die man sich leisten kann im Leben. Daran krankt ja die halbe Welt.
[...]
TAZ: Woran glauben Sie dann?
Fuest: Ich glaube an die Wirksamkeit in mikropolitischer und mikroethischer Hinsicht. Und dass sich die nur erzeugen lässt im Dialog, im Gespräch, in kleinen Gruppen. [...] Werdet, die ihr seid, werdet Zwerge!
TAZ: Ist das nicht ein Rückzug?
Fuest: Nein, ein Auszug. Die Zwerge, das sind in den Mythen die Ausgewanderten. Die Zwerge sind diejenigen, die weggegangen sind, weil die Menschen zu laut waren, zu habgierig, zu hässlich und zu tölpelhaft. Und es sind die, die unterirdisch wühlen, an den Wurzeln graben.
Danke für die schönen Zitate und die Hinweise. Ich habe eine Art Antwort geschrieben: http://wp.me/p13Imq-1u
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