Samstag, 28. November 2015

Eine Theorie der nicht-ausgeschlossenen Gestalt

Eine Theorie der nicht-ausgeschlossenen Gestalt funktioniert etwa so: Wenn Menschen Etwas (Ereignisse, Menschen, Beliebiges) beobachten, rechnen sie die jeweilige Einzelerscheinung einer hypothetischen, implizit herbeispekulierten - von der Urteilskraft nämlich, der reflektierenden und zwar! - Reihe zu. Einer Reihe, Regel also, einer hypothetischen Regel, unter die die jeweilige Einzelerscheinung fällt und von der aus sie ihre erlebte Realität erhält. Wir erleben nie blank etwas einfach allein, sondern immer jeweils ALS gestellt in die Reihe appräsentierter, mitvergegenwärtigter, aneinander anschließender Möglichkeiten. Immer wieder und also auch hier deshalb die phänomenologische Basislektion: Abschattung! Du siehst ein Etwas, eine Vorderseite. Du siehst-mit dessen Hinterseite. Aber nicht nur das: Du siehst-mit ein unvollständiges Ganzes des Möglichen, das sich an diese Erscheinung mit anreiht, in das sich eher diese Einzelerscheinung einreiht, sodass das, was eigentlich erscheint, das Etwas, als das dieses Etwas-Einzelerscheinung erscheint, eigentlich die als-Etwas-Reihe ist. Und von da aus also erlebst du eigentlich alles Einzelne. Von diesem nicht-präsentierten (aktuell gegenwärtig ist immer nur das Vorderseiten-Etwas), aber appräsentierten Hintergrund aus. In der Struktur des Etwas-als-Etwas meint das zweite Etwas also einfach diese Reihe.
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Und jetzt sieht man: Alles, was erscheint, erscheint innerhalb dieser appräsentierten Etwas-Reihen. Zweierlei kann man daraus schließen.
Zum Einen: Das als-Etwas-Erleben von Etwas hängt ab von nicht selbst gegebenen, sondern von Bewusstseinsseite aus mitzuvergegenwärtigenden Hintergrund-Reihen, sodass, als was eine Sache erscheint, nicht in der Sache selbst liegt, sondern in den appräsentierten Regeln der Reihe, die jeder je selbst herbeileistet. Und dies wiederum begründet die urtümliche Ambiguität, Wirrniss der je von verschiedenen Seiten geteilten Erlebenswelten, weil jeder je anders, nie alle gleich diese Reihen appräsentieren - und das alles immer solange reibungsfrei funktioniert, bis irgendwas in den Anschlüssen nicht stimmt oder man oder er oder sie auffällt als jemand, der sonderbar oder seltsam anschließt und Verwirrung stiftet weil es dann zum Beispiel heißt: "Hä!? Was hast du eigentlich vorhin mit dem gemeint?"
Aber noch etwas Witzigeres ist von hier aus einsichtig: Jede Einzelerscheinung, alles, was erscheint, ist natürlich potentieller Teil aller möglichen Reihen, jeweils sehr vieler verschiedener zumindest, sodass, sofern man in der Lage ist, entsprechende Ambiguitätstoleranz nicht zu vermeiden, nicht zu vorschnellen Vereindeutigungen neigt, man jede Etwas-Einzelerscheinung immer im Lichte von allerlei verschiedenen als-Etwas-Reihen als Etwas dieser oder jener Art zugleich zu erleben vermag. Das heißt: Alle nicht-ausgeschlossenen Gestalten-Reihen - denn der Begriff der als-Etwas-Reihe, der Regel, ist nichts anderes als ein anderer Begriff für Gestalt - viele davon zumindest, lassen sich gleichzeitig appräsentieren.
Gerade das, was bei der Hasen-Ente also vermeintlich nicht geht, würde dann in jedem Moment geschehen: Wir bewegten uns also unentschieden zwischen allerlei verschiedenen möglichen Gestalten, und die uns gegenwärtige Welt wäre also eher eine Art Schaum oder Creme oder Teig, aus dem oder der nur an Einzelstellen aus Einzelgründen konkrete, eindeutige Formen gewonnen werden, gerinnen würden. Zum Zwecke der wechselseitigen Erwartungs-Stabilisierung, zum Zwecke der vereinfachten Handlungskoordination. Aber die Quelle, die Basis-Stelle, der am häufigsten bewohnte Welt-Aufenthalt wäre eher diese saucige, cremige Atmosphäre, in der sich eine Gestalt neben und nach der anderen langsam hevorschält, sich wabernd bewegt, sich verwandelt, ohne immer am Ende unbedingt eindeutig bei irgendwas Konkretem zu landen.

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