Donnerstag, 26. Mai 2011

Lachen mit Luhmann über...


...Transzendentalphilosophie und aprioristische Begründungsversuche:

"Man [...] verlegte das, was die Funktion einer Außenfundierung hatte, in das Bewußtsein. Dazu mußte Bewußtsein als ein über Empirizitäten hinausgehender »transzendentaler« Sachverhalt, als »Subjekt« der Welt begriffen werden. So konnte die Selbstreferenz des Bewußtseins, Subjekt genannt, als Quelle der Erkenntnis und als Quelle der Erkenntnis der Bedingungen der Erkenntnis zugleich in Anspruch genommen werden. Eine im Erkenntnisprozeß nicht mehr disponible Ebene kontrollierbarer Bedingungen war denkbar gemacht, und zugleich war jedem, der an Erkenntnis teilnehmen wollte, zugemutet, sie in sich selbst als unumstößliche Gewißheiten zu erfahren.
Ein genialer, höchst erfolgreicher, merkwürdiger Kompromiß zwischen Zugeständnis und Ablehnung von Selbstreferenz. Ein Apriori in Begründungsfunktion, als ob nicht schon das ein Widerspruch in sich selbst wäre. Die Überlieferung hat diesen Gedanken bewahrt, ausgebeutet und wiederholt revitalisiert. Er ist in der Tat, wenn man das Problem ernst nimmt, das er sich stellt, nicht zu überbieten. Aber der Plausibilitätsentzug schreitet unaufhaltsam fort. Man findet heute wohl kaum noch jemanden, der authentisch so denkt. Wer transzendentales Denken vertritt - und man kann das natürlich, wenn man Bücher schreibt oder Kongreßreferate hält -, begründet dies historisch mit Theoriewissen: mit Kant."
(Aus: Soziale Systeme)

...den, der da beobachtet:

"Nochmals: alles, was als Einheit fungiert, fungiert durch einen Beobachter für einen Beobachter als Einheit. Wenn immer man denkt oder sagt: es »gibt« eine Sache, es »gibt« eine Welt, und damit mehr meint als nur, es gibt etwas, das ist, wie es ist, dann ist ein Beobachter involviert. Für einen Beobachter des Beobachters, für uns also, ist die Frage dann nicht: was gibt es ? -
sondern: wie konstruiert ein Beobachter, was er konstruiert, um weitere Beobachtungen anschließen zu können. Wenn man im nächsten Schritt dann fragt, wer oder was die Beobachtung operativ durchführt, stößt man wieder auf die Notwendigkeit einer Unterscheidung als Leitkontext des Beobachtens. Philosophen argumentieren oft so, als ob die maßgebliche Unterscheidung jetzt wäre: Platon oder Aristoteles, Kant oder Hegel. Sie unterscheiden Texte. Eine stärker empirisch ausgerichtete Forschung zwingt zur Abstraktion. Das führt zurück auf die hier vorgeschlagene Unterscheidung von Bewußtseinssystemen (psychischen Systemen) und kommunikativen Systemen (sozialen Systemen). Angesichts dieser Unterscheidung steht man vor der Wahl der Systemreferenz für die weiteren Untersuchungen. Würde man für ein psychisches System optieren, stünde man vor der Wahl: welches von den etwa fünf Milliarden? Und die Entscheidung könnte dann praktisch nur lauten: ich selber.

[Fußnote 66: Auch hier sieht man im übrigen, daß Philosophen, die an einer Subjektreferenz festhalten möchten, gezwungen sind, entweder unter Namen wie Platon, Aristoteles, Kant, Hegel, Heidegger, Wittgenstein Texte zu interpretieren oder selber zu denken.]"
(Aus: Die Wissenschaft der Gesellschaft)

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