Freitag, 8. Juli 2011

Keine Hoffnung auf Wiedervereinigung: Husserl und Luhmann prangern an, Mos Def legt vor

[...] people be askin me all the time, ›Yo Mos, what’s gettin ready to happen with HipHop?‹ [...] I tell em, ›You know what’s gonna happen with HipHop? Whatever’s happening with us.‹ If we smoked out, HipHop is gonna be smoked out. If we doin alright, HipHop is gonna be doin alright. People talk about HipHop like it’s some giant livin in the hillside comin down to visit the townspeople. [...] We are HipHop. So HipHop is goin where we goin. So the next time you ask yourself where HipHop is goin ask yourself.. where am I goin? How am I doin? Til you get a clear idea.
Mos Def (1999), Fear not of Man, Black on Both Sides.

Wer "Philosophie" oder "Soziologie" sagt, der scheint ja zu unterstellen, dass es da eine einheitliche Sache gäbe, die man jeweils so bezeichnen kann. Natürlich, philosophische Fakultäten, die gibt es irgendwie (wie soziologische Fakultäten auch) und wer sich mit einfachen Definitionen zufriedenstellt, der lässt sich vielleicht auch darauf ein, alle an diesen Fakultäten lehrend und forschend tätigen Personen als "Philosophen" (resp. "Soziologen") zu bezeichnen. Aber auch dann entsteht aus dem, was die so definierten "Philosophen"/"Soziologen" faktisch an unterschiedlichen Dingen -- und auf sehr unterschiedliche Weisen -- tun, für eine summarische Definition noch ein nicht geringes Problem. Husserl und Luhmann beschreiben.

Was ist die Philosophie?
Freilich ist es schwer einzusehen, wie sich die Philosophie dem Ideal der Einigkeit nähern und in die Bahn eines festen Fortschritts kommen soll, wenn die einzelnen Forscher umeinander unbekümmert, sozusagen aneinander vorbeiphilosophieren und, statt kritische Ausgleichung zu suchen, ihr vielmehr ängstlich aus dem Weg gehen. (Husserl 1897)


Luhmann, unerwartet weniger optimistisch als sein phänomenologischer Kollege, mahnt an, dass ein sich immer feiner differenzierendes Fach (das nicht einmal eine einheitliche Methode kennt) seine Einheit irgendwann nur noch in seiner eigenen "Intransparenz" finden kann. Dazu ein Aperçu zum "klassischen" Regress.

Was ist die Soziologie?
Vorherrschend kehren diejenigen, die sich für allgemeine Theorie interessieren, zu den Klassikern zurück. Die Einschränkung, durch die man sich das Recht verdient, den Titel Theorie zu führen, wird durch Rückgriff auf Texte legitimiert, die diesen Titel schon führen oder unter ihm gehandelt werden. Die Aufgabe ist dann, schon vorhandene Texte zu sezieren, zu exegieren, zu rekombinieren. Was man sich selbst zu schaffen nicht zutraut, wird als schon vorhanden vorausgesetzt. Die Klassiker sind Klassiker, weil sie Klassiker sind; sie weisen sich im heutigen Gebrauch durch Selbstreferenz aus. Die Orientierung an großen Namen und die Spezialisierung auf solche Namen kann sich dann als theoretische Forschung ausgeben. Auf abstrakterer Ebene entstehen auf diese Weise Theoriesyndrome wie Handlungstheorie, Systemtheorie, Interaktionismus, Kommunikationstheorie, Strukturalismus, dialektischer Materialismus -- Kurzformeln für Komplexe von Namen und Gedanken. Neuheitsgewinne kann man dann von Kombinationen erwarten. Dem Marxismus wird etwas Systemtheorie injiziert. Interaktionismus und Strukturalismus sind, so stellt sich heraus, gar nicht so verschieden, wie man angenommen hatte. Webers »Gesellschaftsgeschichte«, ein auch für Marxisten möglicher Begriff, wird mit Hilfe der Parsons'schen Kreuztabelliertechnik systematisiert. Handlungstheorie wird als Strukturtheorie, Strukturtheorie als Sprachtheorie, Sprachtheorie als Texttheorie, Texttheorie als Handlungstheorie rekonstruiert. Angesichts solcher Amalgamierungen wird es dann wieder möglich und nötig, sich um ein Wiedergewinnen der eigentlichen Gestalt der Klassiker zu bemühen. Jedes biographische Detail bringt auf die Spur und ermöglicht die Sicherstellung des Klassikers quer zu dem, was als Theorie aus ihm abgeleitet wird. [...] Als Resultat verwirrt den Beobachter vor allem die rasch zunehmende Komplexität dieser Theoriediskussion. Je besser man die Leitautoren kennt und je höher man die Ansprüche an die Analyse ihrer Texte im Kontext ihrer Sekundärliteratur schraubt, je mehr man sich mit Kombinationsspielen befaßt und je mehr man Emphasenwechsel (zum Beispiel De-Subjektivierung oder Re-Subjektivierung) aus einem Theorierahmen in einen anderen transportiert, desto komplexer wird das Fachwissen, das die weitere Forschung tragen muß. Die Einheit der Soziologie erscheint dann nicht als Theorie und erst recht nicht als Begriff ihres Gegenstandes, sondern als pure Komplexität. Das Fach wird nicht nur intransparent, es hat seine Einheit in seiner Intransparenz. Die Komplexität wird nur perspektivisch angeschnitten, und jeder Vorstoß variiert mehr, als er kontrollieren kann. Selbst wenn man also mit einer Ausschöpfung des Gedankenguts der Klassiker früher oder später rechnen müßte, hätte man mit der selbsterzeugten Dunkelheit immer noch genug zu tun. (Luhmann, Soziale System)

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