Montag, 26. Dezember 2011

Eine Weihnachtsgeschichte zweiter Ordnung


Nachdem sich manche Phänomenologen noch fragen, wie die Phänomene der Welt eigentlich zugleich verschwinden und trotzdem noch so aufdringlich präsent sein können, probiert sich Luhmann erzählerisch an der Frage, wohin in der Soziologie eigentlich der Mensch verschwunden ist:
Zu der Zeit, als man in Frankreich der unglücklichen Princesse de Lamballe ihren Kopf und die Merkmale ihres Geschlechtes abschnitt und diese auf Spieße steckte und vor dem königlichen Schloß aufpflanzte, damit die Königin, ihre Freundin, das sehen sollte, und zu der Zeit, als man daraufhin in Preußen etwas eilig, aber doch gründlich und philosophisch, eine neue Art von Humanismus erfand, zu der Zeit der französischen Revolution also, wurde in England eine kleine Geschichte aufgeschrieben, mit der ich meinen Vortrag einleiten möchte. Sie finden den Text in den Begleitnotizen zu Radierungen von William Blake: 
Der Teufel fuhr aufwärts in einer Flamme und traf dort einen Engel. Der Engel saß auf einer Wolke. Der Teufel -- durch diesen Anblick angeregt -- sagte: "Ich kann mir Gott eigentlich nur vorstellen als die Größe im Menschen, und zwar gibt es die Größe in einigen Menschen mehr als in anderen, und im besonderen Maße in genialen Menschen." Als der Engel das hörte, lief er blau an vor Zorn, aber er konnte sich beherrschen und wurde gelb und dann weiß und dann rosa und lächelte und sagte: "Du Götzenanbeter" -- denn ganz ohne Schimpfen gelang es ihm nicht -- "Du Götzenanbeter, weißt du nicht, dass Gott Einheit ist, und er hat seinen Sohn geschickt, der Sohn hat die zehn Gebote bestätigt, und die Menschen sind Sünder und Dummköpfe und Taugenichtse", und so weiter im Sinne einer theologischen Explikation.
Im weiteren Verlauf der Geschichte fällt der Engel, aber das soll uns jetzt nicht stören, wir möchten ihn noch ein bisschen auf der Wolke halten und sehen, was die Soziologie zu einer solchen Geschichte zu sagen hätte. Es ist wenig genug.
Soziologen, die eine anthropologische Orientierung bevorzugen, würden sofort erkennen, daß der Engel nach dem Muster eines Menschen gemacht ist, also Kopf oben und nicht, wie bei normalen Tieren, Kopf vorne. Daraus folgt ein problematisches Verhältnis zur Praxis, wie es sich in dem theologischen Sermon auch sogleich ausdrückt.
Die feministisch bewegten Frauen würden ein strukturell ähnliches Argument haben, sie würden sehen, daß der Engel als Mann dargestellt ist, übrigens auch der Teufel. In der ganzen Geschichte kommen Frauen gar nicht vor. Das zeigt sich dann auch an dem androzentrischen Weltbild, das der Engel verkündet, und letztlich, wenn man in der Bibel sieht, an der gesamten biblischen Geschichte. Die Welt wurde geschaffen mit Adam als einzigem Menschen. So wurde sie gut geheißen. Dann erst wurde Eva herausoperiert und dazu wurde dann nichts mehr gesagt. Man kann also innerhalb dieser Geschichte eine Reflexion jenes männlichen Weltbildes sehen. Die Angelologie bestätigt das nur, auch wenn das 18. Jahrhundert die Engel schon als Babys bervorzugte.
Für Jürgen Habermas wäre das Problem sicherlich der Monolog des Engels. Er redet allein und ohne auf die Argumente des Teufels einzugehen. Wie sollte er auch, wenn es ein Teufel ist! Es müßte also ein zweiter Engel auf die Wolke, damit ein Dialog zustandekommt und damit über Gründe vernünftigen Handelns gesprochen werden kann. Habermas selbst und der Teufel, wenn ich einmal diese Gruppe bilden darf, wissen nicht, was die guten Gründe sind, aber sie erwarten von den Engeln, daß sie darüber verhandeln. Sie müssen das Ergebnis der Wolkenarbeit abwarten.    
(Luhmi, Die Soziologie und der Mensch)

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