Dienstag, 5. Oktober 2010

Sarrazin Reloaded: Subtile Xenophobie im ZDF


Während wir an der Oberfläche unserer medialen Aufmerksamkeit die letzen Seufzer der politisch Korrekten über diesen ungemütlichen Störenfried Thilo Sarrazin und sein scheußliches Buch verklingen hören, ist die Debatte mittlerweile im Untergrund des öffentlich-rechtlichen Wissensfernsehens angekommen:

Unbedarft und noch durch drückende Kopfschmerzen vom vorhergehenden Abend benebelt, suchte ich mir irgendeine Berieselung aus der ZDF-Mediathek:
Eine "Abenteuer Wissen"-Sendung verspricht, über die aktuellsten Probleme des "Ökosystems Bodensee" aufzuklären. Klar, das man daran auf keinen Fall vorbeikommt. Und schon die ersten gesprochenen Sätze machen klar, dass hier gewaltig was auf dem Spiel steht:
"Der Bodensee, das bedeutendste Trinkwasserreservoir Europas. - Die kleinsten Veränderungen dieser Lebensquelle sind deutlich messbar. - Besteht Gefahr für das Trinkwasser?"

Cicero hätte die Verteidigung des Bodensees nicht besser eingeleitet. Unser Bodensee ist in Gefahr, und jeder Zuschauer brennt jetzt natürlich drauf zu wissen, woher uns die dunkle Bedrohung wohl anschielen mag, in welche Liste man sich eintragen muss, um das sensible Großgewässer mit dem eigenen Leben zu verteidigen.
Aber die Sendung wäre kein Abenteuer, wenn sie uns geradeso drauf zu verraten würde, was da eigentlich los ist, im größten Trinkreservoir Europas. Bis Minute zwanzig also nur Geplänkel, erste Versuche, den Zuschauer durch gezielte Verwirrung träge und empfänglich zu machen. Erderwärmung, Blaualgen,  "neue Kollegen"  (Daphnien, winzige Kleinkrebse) stehen jetzt mitten im Bodensee "im Dienst des Trinkwasserschutzes"  (!?) und sind dafür "Rund um die Uhr im Einsatz"  (hätte BP das mal gewusst), dann noch Erosion: in 10 000 - 15 000 Jahren ist der Bodensee durch Sedimente "verlandet". An der Stelle war ich bereits dabei, aktiv wegzudämmern.
Dann, auf einmal, ab 20:04 wird klar, auf was das Ganze wirklich hinausläuft, was das Problem ist, in unserem sauberen Bodensee: Mit lautem Knall springt da der Sarrazin aus der Tüte. Aber er gibt sich diesmal - stilsicherer als bei seinen vorhergehenden Versuchen - als eine ganze Mannschaft besorgter Biologen aus, die mit den Daphnien zusammen Rund um die Uhr in unserem Bodensee im Einsatz sind. Und die, ja, die sind wirklich besorgt:
"Im Wasser schwimmt allhand rum, was dort nicht hineingehört [überhaupt nicht!]. [...] "Neozoen"  [das wäre doch eine echte Alternative zu „Kopftuchmädchen"!?] nennen die Forscher die heimlichen Eindringlinge. Die ungebetenen Gäste gefährden das Ökosystem. Neuerdings lebt die "Donau-Schwebegarnele" im Bodensee" und hat sich hier "wie selbstverständlich eingenistet". Na sowas!

Die besorgten Forscher konstatieren: "Die Schwebegarnele ist 2006 in den Bodenseeeingewandert und hat an einer Stelle sehr schnell Massenbestände ausgebildet." Der Grund für die unerwünschte Einwanderung liegt auf der Hand: "Die Erwärmung des Seewassers bietet den Einwanderern bessere Lebensbedingungen als früher", die hohen ökologischen Sozialleistungen begünstigen zudem, "wie stark sich die Schwebegarnele vermehrt."Die Forscher kommen zu einem erschreckenden Ergebnis: "So wie es aussieht, ist die Schwebegarnele im Bodensee nicht mehr aufzuhalten.“ Ob sie damit schon ein selbstständiger Teil der Bodenseekultur geworden ist, geht aus den Aussagen der Forscher nicht so eindeutig hervor. Aber ihre "Häufigkeit, ich glaub das ist überhaupt kein Thema: massenhaft". "Die Schwebegarnele könnte heimische Arten verdrängen oder Krankheiten einschleppen." Klar, das liegt alles im Bereich des Möglichen.

(Quelle: Wiki-Commons)
Sarrazin lächelt mit muffig-sympathischem Gesicht aus seinem kleinen Forschungs-U-Boot hervor, und macht sich dann zur nächsten „Volkszählung“ auf in den Untergrund. An der Oberfläche lässt er eine Hand voll Biologismen und eine junge Expertin zurück, die noch einmal anschaulich und volksnah alle möglichen Kritiker verstummen lassen soll:
"Man muss sich das so ein bisschen vorstellen, wie so´n Mobile. Das heißt, ich habe viele verschiedene Arten, die über viele verschiedene empfindliche Wege miteinander verbunden sind. Und wenn eine neue Art kommt, dann ist es wie wenn man bei nem Mobile zum Beispiel ein Teil des dranhängt verstärkt oder wegnimmt. Es kann sein, dass überhaupt nicht viel passiert, dass es nur son kurzes Schwanken gibt und es kann aber auch sein, dass die ganze Stabilität zusammenbricht. Und des ist son bisschen des Problem mit diesen Tieren. Des heißt man kann auch nicht sagen: die eine Art hat überall folgende Auswirkung, sondern es ist überall was Neues und im Prinzip nicht vorhersehbar und auch nicht beherrschbar, was passieren kann."

Das klingt vernünftig, nach Wissenschaft: Klar, könnte alles auch anders verlaufen.

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