Freitag, 1. Juli 2011

"Guter Geist ist trocken" - Luhmann über Witz und Ironie


"Hier ließe sich eine Analyse von Witz und Ironie anschließen. In diesen Formen kann das Bewußtsein sich selbst als fehlerhaft darstellen, aber eben doch als bewußt fehlerhaft. Es begeht sozusagen einen Kategorienfehler, eine Ebenenverwechslung, eine unmögliche Attribution, um in soziale Latenzen einzubrechen und sie zugleich zu respektieren. Der gag heiligt die Mittel -- und auch das kann man noch sagen, wenn einem das Recht zur Ironie bestritten wird. (Im übrigen ist auch die Wortgeschichte von "gag" ein Beitrag zur Sache, nämlich die Entwicklung von Knebel, Mundsperre, über Improvisiertes zu Scherz, ursprünglich im slang, dann mehr und mehr auch in der normalen Sprache und als Fremdwort).
Witz kann solidarisierend wirken, und zwar dadurch, daß er heimliche Verständnisvoraussetzungen, also Bewußtsein in Anspruch nimmt, ohne daraus soziale Strukturen zu bilden. Eben deshalb ist dafür die Form des Einzelereignisses unerläßlich: Ein Witz muß neu sein und unwiederholbar. Er muß überraschen, darf aber nicht belehren. Er muß, obwohl er Bewußtsein komplex in Anspruch nimmt, rasch kapiert werden können, so daß er als Ereignis gemeinsam aktualisiert werden kann, ohne daß Konsens über Anzuschließendes gebildet werden muß. Er aktualisiert also die Sozialdimension, ohne sie kommunikativ zu thematisieren. Er bindet nicht. Er schneidet jede weitere Kommunikation, jede Rückfrage, jede Bemühung um weitere Erläuterung drastisch ab dadurch, daß er die Form einer Paradoxie wählt. Daß der Witz diese Stoßrichtung auf soziale Latenzen hat, läßt sich im übrigen auch daran ablesen, daß Witze auf Kosten Anwesender, das heißt auf Kosten des Bewußtseins, verboten sind." (Soziale Systeme)

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