Montag, 18. Juli 2011

Versuche über das Einschlafen - Spuren einer Philosophie des Gähnens




"Da Schlaflosigkeit ein Fehler des schwächlichen Alters, und die linke Seite, überhaupt genommen, die schwächere ist, so fühlte ich seit etwa einem Jahre diese krampfichte Anwandelungen und sehr empfindliche Reize dieser Art (ob zwar nicht wirkliche und sichtbare Bewegungen der darauf affizierten Gliedmassen als Krämpfe), die ich nach der Beschreibung anderer für gichtische Zufälle halten und dafür einen Arzt suchen musste. Nun aber, aus Ungeduld, am Schlafen mich gehindert zu fühlen, griff ich bald zu meinem stoischen Mittel, meinen Gedanken mit Anstrengung auf irgend ein von mir gewähltes gleichgültiges Objekt, was es auch sei (z.B. auf den viel Nebenvorstellungen enthaltenden Namen Cicero) zu heften: mithin die Aufmerksamkeit von jener Empfindung abzulenken; dadurch diese dann, und zwar schleunig, stumpf wurde, und so die Schläfrigkeit sie überwog, und dieses kann ich jederzeit, bei wiederkommenden Anfällen dieser Art in den kleinen Unterbrechungen des Nachtschlafs, mit gleich gutem Erfolg wiederholen. Dass aber dieses nicht etwa bloss eingebildete Schmerzen waren, davon konnte mich die des andern Morgens früh sich zeigende glühende Röte der Zehen des linken Fusses überzeugen."
(Kant, Streit der Fakultäten)

"Einschlafend „stelle ich immer mehr meine Aktivität ein“, zunächst meine praktische Interessenaktivität. Ich lasse mein Interesse „ruhen“, sinken, ich lasse meine „Gedanken" wandern; auch in ihnen liegt Aktivität, liegt Interesse, ich lasse es abfallen, ich spiele nicht etwa mit Gedanken, es sei denn als Einleitung dazu, darin müde zu werden oder meine steigende Müdigkeit – d. i. mein fallendes Beteiligt-Sein – zu befördern. Es sind noch Reste der Wachheit da, noch Reste der Aktivität, des Hin-Gerichtet-, Beschäftigt-Seins. Aber in einem eigentümlichen Modus, der das ganz normale Einschlafen charakterisiert gegenüber dem „sich schlafen legen, aber nicht einschlafen können“. [...] Im Einschlafen bin ich noch affiziert, aber alle Affektionskraft sinkt; und wenn ich auch noch nachgebe, so ist die Intensität der Zuwendung, des von dem Affizierenden Angezogenseins, schwach und selbst abfallend [...]. Dieses Sinkenlassen und [dieses] im Sinken- und Fahrenlassen der Willenspositivität Leben, das als universales stetiges (nicht im Auf und Ab eines Aufschnellens und wieder Sinkenlassens der Positivität meines Wollens und Tuns) gedacht ist, [ist] der Modus des eben noch wachen, aber einschlafenden Lebens. [...] Das Eigentümliche des Einschlafens ist also die Universalität des Passivwerdens des Ich als Interessen-Ich." 
(Husserl, Die Lebenswelt, Husserliana 39)

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