Dienstag, 31. Januar 2012

Kant-Robinsonaden : Eine kleine Phänomenologie der Südsee-Sehnsucht


Nicht (oder doch zumindest nicht ausschließlich) als strenger logischer Deduktor, wachsamer Hüter der "Kaserne in ihrer metaphysischen Potenz" (Ball), sondern kants in der Rolle des aufmerksamen Weltmanns, mit allen sieben Wassern der Menschenkenntnis gewaschen, als aufmerksamer Phänomenologe der Sehnsucht nach Welt- und Menschenflucht zum einen, Bedürfnislosigkeit zum anderen, präsentiert sich das sonst vor allem ehrfurchtseinflößende Inselgenie IK in folgenden kurzen Textabschnitten:
Sich selbst genug sein, mithin Gesellschaft nicht bedürfen, ohne doch ungesellig zu sein, d.i. sie zu fliehen, ist etwas dem Erhabenen sich Näherndes, so wie jede Überhebung von Bedürfnissen. Dagegen ist Menschen zu fliehen, aus Misanthropie, weil man sie anfeindet, oder aus Anthropophobie (Menschenscheu), weil man sie als Feinde fürchtet, teils häßlich, teils verächtlich. Tatsächlich gibt es eine (sehr uneigentlich sogenannte) Misanthropie, wozu die Anlage sich mit dem Alter in vieler wohldenkender Menschen Gemüt einzufinden pflegt, welche zwar, was das Wohlwollen betrifft, philanthropisch genug ist, aber vom Wohlgefallen an Menschen durch eine lange traurige Erfahrung weit abgebracht ist: wovon der Hang zur Eingezogenheit, der phantastische Wunsch, auf einem entlegenen Landsitze, oder auch (bei jungen Personen) die erträumte Glückseligkeit auf einem der übrigen Welt unbekannten Eilande mit einer kleinen Familie seine Lebenszeit zubringen zu können, welche die Romanschreiber oder Dichter der Robinsonaden so gut zu nutzen wissen, Zeugnis gibt.
(Kritik der Urteilskraft, §29)  
Der dritte Wunsch, oder vielmehr die leere Sehnsucht (denn man ist sich bewusst, dass das Gewünschte uns niemals zu Teil werden kann) ist das Schattenbild des von Dichtern so gepriesenen goldenen Zeitalters: wo eine Entledigung von allem eingebildeten Bedürfnisse, das uns die Üppigkeit aufladet, sein soll, eine Genügsamkeit mit dem blossen Bedarf der Natur, eine durchgängige Gleichheit der Menschen, ein immerwährender Friede unter ihnen, mit einem Worte der reine Genuss eines sorgenfreien in Faulheit verträumten oder mit kindischem Spiel vertandelten Lebens; – eine Sehnsucht, die die Robinsone und die Reisen nach den Südseeinseln so reizend macht, überhaupt aber den Überdruss beweiset, den der denkende Mensch am zivilisierten Leben fühlt, wenn er dessen Wert lediglich im Genusse sucht, und das Gegengewicht der Faulheit dabei in Anschlag bringt, wenn etwa die Vernunft ihn erinnert, dem Leben durch Handlungen einen Wert zu geben. 
(Mutmasslicher Anfang der Menschengeschichte)
Dann aber:
Für sich allein würde ein verlassener Mensch auf einer wüsten Insel weder seine Hütte, noch sich selbst ausputzen, oder Blumen aufsuchen, noch weniger sie pflanzen, um sich damit auszuschmücken; sondern nur in Gesellschaft kommt es ihm ein, nicht bloß Mensch, sondern auch nach seiner Art ein feiner Mensch zu sein (der Anfang der Zivilisierung) [...].
(Kritik der Urteilskraft, §41)

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