Dienstag, 22. Januar 2013

Kant und Luhmann - Zwei Theoriekapitäne auf hoher See

[Re-Entry vom 13.02.12 aus ergründbarem Anlass]

("Großköpfige Theoriekapitäne
an Bord der Sapere Aude 2")
Eine ganze Weile schippern die beiden nun schon auf hoher Theoriesee herum, um als epistemologische Küstenwache schlechtkonstruierten oder auf Sandbänke aufgelaufenen Konstruktionsversuchen aus der Patsche zu helfen.

Selbstbewusst, ganz alte Humanistenschule, setzt Kant dabei neben Sextant vor allem auf eigene Peilung, gibt sich selbst die Route vor und nennt sein wohlbewährtes Navigationsverfahren "Autonomie":
Man ist es schon lange gewohnt, alte abgenutzte Erkenntnisse dadurch neu aufgestutzt zu sehen, dass man sie aus ihren vormaligen Verbindungen herausnimmt, ihnen ein systematisches Kleid nach eigenem beliebigen Schnitte, aber unter neuen Titeln, anpasst; und nichts anders wird der grösste Teil der Leser auch von jener Kritik zum voraus erwarten. Allein diese Prolegomena werden ihn dahin bringen, einzusehen, dass es eine ganz neue Wissenschaft sei, von welcher niemand auch nur den Gedanken vorher gefasst hatte, wovon selbst die blosse Idee unbekannt war, und wozu von allem bisher Gegebenen nichts genutzt werden konnte, als allein der Wink, den Humes Zweifel geben konnten, der gleichfalls nichts von einer dergleichen möglichen förmlichen Wissenschaft ahndete, sondern sein Schiff, um es in Sicherheit zu bringen, auf den Strand (den Skeptizism) setzte, da es denn liegen und verfaulen mag, statt dessen es bei mir darauf ankommt, ihm einen Piloten zu geben, der, nach sicheren Prinzipien der Steuermannskunst, die aus der Kenntnis des Globus gezogen sind, mit einer vollständigen Seekarte und einem Kompass versehen, das Schiff sicher führen könne, wohin es ihm gut dünkt.
(Kant, Prolegomena)
Luhmann ist verblüfft: Der alte (K)antizipator hat einmal mehr Entwicklungen vorausgeahnt, die ihm erst 200 Jahre später auffallen durften. Liebevoll erinnert er seinen alten Kameraden beispielhaft an "die vielen Mißverständnisse, die inzwischen am Markennamen »Phänomenologie« angewachsen" seien "wie Algen an einem schon länger zur See fahrenden Schiff" und blickt mit seherischer Apathie auf das ruhige Wellenspiel am Bug. 
Aus dem Maschinenraum dröhnt die Stimme des alten Scheler, der anfragt, ob er denn das "Ankertau der Konstruktionsgesetze" jetzt schon "in den Ozean des Gegebenen" hinauswerfen solle. Luhmann reagiert verhalten. Natürlich, als Freund neuer Technologien vertraut er lieber auf seine Instrumente als sich vorschnell nur seines eigenen Verstandes zu bedienen, phantasiert von Autopilot und Radiosonar, fühlt sich innerlich schon aufs eigene Theorieluftschiff umsetzen und ergibt sich einer monologisch vor sich hin driftenden Träumerei:
Diese Theorieanlage erzwingt eine Darstellung in ungewöhnlicher Abstraktionslage. Der Flug muß über den Wolken stattfinden, und es ist mit einer ziemlich geschlossenen Wolkendecke zu rechnen. Man muß sich auf die eigenen Instrumente verlassen. Gelegentlich sind Durchblicke nach unten möglich - ein Blick auf Gelände mit Wegen, Siedlungen, Flüssen oder Küstenstreifen, die an Vertrautes erinnern; oder auch ein Blick auf ein größeres Stück Landschaft mit den erloschenen Vulkanen des Marxismus. Aber niemand sollte der Illusion zum Opfer fallen, daß diese wenigen Anhaltspunkte genügen, um den Flug zu steuern.
(Luhmann, Soziale Systeme)

2 Kommentare:

  1. zwei Riesentanker der Weltmeere vereint, klasse.
    Und das Beste: jeder kann an ihnen Auftanken!

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  2. Da wollen wir nur hoffen, dass die beiden nicht allzu viel Öl geladen haben und sich weiterhin an ihren erfolgreichen Kurs halten.

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