Samstag, 7. April 2012

"Urheber, echt!?" - Herausforderung durch multiplizierbare Ware


"Du bist nicht Original wie eine Fotokopie"
"I don´t blame someone for being a copycat. I´m a copycat aswell, we all are." 
"Du bist der Auffassung, dass dir die Musik gehört. Ich habe immer nur Musik gehört."
 Retrogott

Vorweg: Der folgende Versuch entspringt einem kritischen Impuls: Er soll vor allem dazu dienen, in der Debatte oft als Selbstverständlichketien suggerierte Behauptungen zu "ent-sichern" [wie gedankliche Wegfahrsperren], um ihnen ihre Mobilität zurückzugeben.

Wem gehören meine Gedanken?

"Meins!" -- Landnahme oder Urhebe?
Urheberrecht setzt voraus, dass es einen Urheber gibt, einen, der das Werk zuerst [wie einen Schatz] gehoben, der sein Urbild hergestellt hat: Im Werk des genialischen Künstlers, dessen auratischer  Wert am Original haftet, findet sich diese Idee des Urhebers idealtypisch verwirklicht. Hier wird nicht kopiert, sondern originär geschaffen.
Wie ist es aber mit der menschlichen Kunst? Durch die Baukunst etwa, so könnte man doch sagen, bringt sie das Haus selbst hervor, durch die Malerei aber ein anderes Haus, so etwas wie ein von Menschen erzeugtes Traumbild für Wachende.
(Platon, Sophistes) 
Allerdings hat Kant, der die genieästhetische Tradition wesentlich (als einer ihrer Urheber) mitgeprägt hat, das Genie selbst als "Naturgabe" interpretiert, sodass nicht eigentlich das Genie, sondern die Natur Urheber seiner Werke wäre; die allerdings könnte ihre Urheberschaft nur schwer selbst rechtlich verwerten (--> Patente auf pflanzliche Wirkstoffe). Wenn Künstler nun den Besitz an den Produkten ihre Köpfe einklagen -- wobei zu überlegen bleibt, ob der Kopf hier wirklich die richtige Zurechnungsadresse ist, "denn wenngleich die meisten Menschen das Denken im Kopfe zu fühlen glauben, so ist das doch bloss ein Fehler der Subreption [heute: der Erschleichen von Leistungen], nämlich das Urteil über die Ursache der Empfindung an einem gewissen Orte (des Gehirns) für die Empfindung der Ursache an diesem Orte zu nehmen" (Kant in einem Brief an Sömmering, 1795) -- scheinen sie vorauszusetzen, dass die eigenen Ideen natürlicherweise einen privaten Besitz darstellen (und nicht etwa ein "Besitz" der Menschheitsgeschichte o.ä.). 

Aber gehören "meine" Gedanken denn "mir"? Bin "ich" denn ihr Urheber? Und was würde das genau bedeuten? Dass "ich" "meine Gedanken" gewissermaßen intentional in mich hineindenke? Ich müsste dann meine Gedanken (die Idee einer Melodie, ein neues Wort, den nächsten Vers für ein innovatives politisches Gedicht) schon "haben", bevor ich sie habe, um sie mir dann selbst einfallen zu lassen. Einfälle zeichnen sich nun aber gerade dadurch aus, dass sie eher zu einem kommen, als dass man sie in sich selbst hereinbringt. Der Einfall fällt eben ein, er-eignet sich [oha, Todtnauberg]. ("Ideas come to us. We don´t really create an idea. We just catch them -- like fish. No chef ever takes credit for making the fish. It´s just preparing the fish." -- Lynch). Ist er aber damit schon mein Eigentum? Gerade so, wie ein Eroberer meint, dass ihm das Land gehöre, dass er "zuerst" betritt? ("Der war zuerst bei mir! Mein Kopf! Mein Gedanke!") Und woher weiß ich, dass ein Gedanke zuerst bei mir war? Dass es nicht die Tradition, bisherige Lektüre, Filmkenntnis, die eigene Umgebung usw. war, aus der der Einfall kam? Wie dem auch sei -- Urheberschaft ist keine natürliche Tatsache.

Als soziales Phänomen ist Urheberschaft eher eine Frage der Zurechnung. Natürlich kann man, ähnlich wie in der Diskussion um die Willensfreiheit ("Wer ist der Autor meiner Handlungen?" - Mein Gehirn? Hormone? "Ich selbst" am Ende?), Urheberrschaft dekonstruieren. Sie wird dann, ganz wie die Frage nach der Zuschreibbarkeit von Verantwortung bei Strafttaten, eine Frage der Grenzziehungen und der Definitionen, ist wie diese dann Gegenstand sozialer Aushandlung. Urheber zu sein bedeutet dann nur: das Subjekt der rechtlich legitimen Zuschreibung von Urheberschaft zu sein. Und das wird hoffentlich auch so bleiben, die Frage ist nur: Unter welchen Bedingungen?

Aneignung ohne Enteignung - Multiplizierbare Ware

("Datenhighway" - Raubdruck und frz..Rev.)
Gedanken sind natürlich noch keine Werke, müssen erst zu solchen gemacht werden -- wie bei der Produktion von anderen Gütern auch. Nachdem die Künstler nun dazu übergegangen waren, nicht mehr Geschichten ohne klaren Urheber als Sänger oder Erzähler durch die Generationen abwandelnd zu tradieren, konnte der Künstler, der jetzt Originale produzierte, seine Originale auch als Originale vermarkten. Die von ihm urgehobenen Werke besaßen dabei gewissermaßen einen natürlichen Kopierschutz, sofern sie eben nicht als Originale kopiert werden konnten. Die Möglichkeit, Werke technisch zu reproduzieren, schien dann -- so mutmaßte zumindest Walter Benjamin -- dazu zu führen, dass die Originale schrittweise ihre auratischen Qualitäten verloren. Im Zeitalter ihrer digitalen Reproduzierbarkeit scheinen Werke nun nicht mehr nur technisch reproduzierbar, sondern verlustfrei multiplizierbar zu werden. Auf sie scheint mit einemmal zuzutreffen, was Luhmann einmal über die Kommunikation bemerkte: dass bei ihr
[...] nichts weggegeben wird. Derjenige, der etwas mitteilt, verliert sein Wissen sozusagen nicht aus dem Kopf, es ist also nicht so wie ein ökonomischer Vorgang, wo man, wenn man gezahlt hat, das Geld hinterher nicht mehr hat oder das Ding, was man überträgt, nicht mehr besitzt, sondern es ist ein Vorgang, der offenbar multiplikativ wirkt. Erst hat es nur einer und dann wissen es zwei oder mehr oder hunderte oder millionen oder mehr; je nachdem, an welches Netzwerk wir hier jetzt denken.
(Luhmann, Einführung in die Systemtheorie, MC13A, Kommunikation)
Kopie ist also Aneignung ohne Enteignung. Das kopierte wird nicht entwendet, sondern "bloß" unerlaubt vervielfacht. Die Möglichkeit ihrer digitalen Reproduktion erhöhte dabei auch die Reichweite der Werke. Was früher noch an körperliche Präsenz und Aufführung gekoppelt war, ließ sich jetzt beliebig oft reproduzieren und damit auch beliebig weit verbreiten. Das hat dazu geführt, dass erfolgreiche Künstler unwahrscheinlichste Verbreitungsweiten erreichen, und, solange die technische Reproduktion ihrer Werke für Laien noch verhältnismäßig aufwendig war, erstaunliche Verkaufszahlen erzielen konnten. Einmaliger Produktion stand potentiell beliebige Vervielfältigung gegenüber -- eine äußerst unwahrscheinliche Ware.

Heute erscheint es mehr als deutlich, dass mit den verlustfrei multiplizierbaren Waren eine neue Sorte von "Gegenständen" das Licht der Welt erblickt hat. Und es wird schwierig werden, durch künstliche Restriktionen (z.B. Kopierschutz) die Eigenschaften der "alten" Gegenstandswaren (vor allem: die strenge Korrelation von Übertragung und Enteignung) auf multiplizierbare Waren zu übertragen (das gilt allerdings auch schon für öffentliche Rezitation von Gedichten oder Liedern, für Kommunikation). Dateien sind keine in der Festplattengarage parkenden Informationsautomobile. Ihre Multiplizierbarkeit kann eine Chance sein, jedenfalls wird sie sich kaum verhindern lassen, das erfordert auch ein neues Verständnis der Möglichkeiten ihres Vertriebs: 

[via autopoiet]

16 Kommentare:

  1. Rückfragen (entspringend aus dem verdacht des non sequitur im Blick auf die voranstehenden Entsicherungsversuche): Ist Kants These vom Genie als Naturgabe nicht hauptsächlich gegen die Vorstellung gerichtet, man könne durch Fleiß und Training genial werden? Schließt Genie als Naturgabe aus, dass deren Kultivierung, Nutzung und Entfaltung durch das Genie ein wichtiges kreatives Arbeitsmoment ins Spiel bringt, das eher dagegen zu sprechen scheint, "die Natur" als Urheberin der Genie-Werke zu deuten? Fragen muss man das besonders dann, wenn "Urheberschaft ... keine natürliche Tatsache" sein soll.

    Indes scheint unstreitig, dass man Gedanken nicht schon haben muss, bevor man sie sich einfallen lassen kann. Gedanken "entstehen" eher, als dass man sie "hat", sie bringen sich gleichsam selber mit - aber eben wohl nicht bei allen in gleicher Zeit, Art und Form. Ohnehin gilt das Urheberrecht ja nicht für "bloße" Gedanken, sondern für (originäre) Werke.

    Dass eine Kopie "Aneignung ohne Enteignung" sein kann und Produktpiraterie mitunter werbewirksam sein mag, hebelt die Pointe des Urheberrechts kaum aus: Wer unerlaubt kopiert, schmarotzt die Arbeit und Kreativität anderer, die nicht gefragt werden, für lau. Es fehlt hier also gerade ein Moment der Kommunikation. Vielleicht hätte Luhmann das auch so gesehen und sich gegen einen Vergleich von Kommunikation mit multiplizierendem "Kopieren" verwahrt.

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    1. @Kantexegese: Steht ja da: "Gedanken sind natürlich noch keine Werke, müssen erst zu solchen gemacht werden". Zudem würde, dass man nicht "durch Fleiß und Training genial werden" kann, zugleich bedeuten, dass das genialisch Urheberhafte einer Art Erbadel entspringt - ob man dafür besonders kassieren sollen dürfte, würde ich weiterhin zunächst als Frage behandeln.

      Die These, dass Urheberschaft keine natürliche Tatsache ist, bezieht sich allerdings nicht auf Kant, sondern auf den einfachen Umstand, dass es sich hierbei um in veränderbares Rechtskonstrukt handelt; um die Frage eben, wem und wie faktisch Urheberschaft zugerechnet wird und was das im Einzelfall bedeutet.

      "Schmarotzen" ist wohl ein moralisch imprägnierter Begriff und verstellt hier eher die ohnehin problematische Möglichkeit einer "neutralen" Sachverhaltsbestimmung. Zudem ist im Text, so weit ich sehen kann, an keiner Stelle das Urheberrecht als solches in Frage gestellt, im Gegenteil: "Urheber zu sein bedeutet dann nur: das Subjekt der rechtlich legitimen Zuschreibung von Urheberschaft zu sein. Und das wird hoffentlich auch so bleiben, die Frage ist nur: Unter welchen Bedingungen?"

      @Luhmannspekulation: Was und wie Luhmann gesehen hätte, wage ich nicht zu beurteilen; zu Moralisierungen schien er jedenfalls nicht zu neigen. Der Vergleich scheint mir an dieser Stelle stimmig, sofern es sich bei dem Kopieren von Information und Kommunikation um strukturanaloge Sachverhalte handelt. Und ob etwa Aristoteles mit mir kommuniziert oder nicht, kann Aristoteles (trotz Urheberschaft) heute gar nicht mehr selbst entscheiden.

      Die Frage ist dann, unter welchen Bedingungen ein weiterhin funktionsfähiges Urheberrecht operieren könnte; und auch, wie die (über das Haben von Einfällen hinausgehende) Leistung "der Kreativen" zugleich angemessen (an investierte Zeit und Arbeit etwa) entlohnbar gemacht werden kann. Hier scheint mir der Versuch der Übertragung einer an enteigenbaren Gegenständen festgemachten Rechtstradition (Raubkopieren wird, wo es geahndet wird, teils offenbar schwerer bestraft als entsprechender Diebstahl) auf multiplizierbare Waren nicht die richtige Lösung zu sein. Wir haben es hier mit einem gravierenden und bedenkenswerten Unterschied zu tun: Eine Ware, die sich beliebig oft und ohne Mehrkosten verkaufen lässt, ist etwas anderes als eine Ware, die entweder mit der Konsumption verbraucht oder nur jeweils einzeln besessen oder benutzt werden kann. Die Entwicklung alternativer Finanzierungssysteme erscheint mir persönlich hier vielversprechend; andere haben hoffentlich konkretere Vorstellungen, wie das ausgestaltbar sein könnte (--> "Kulturflatrate" oder was man sich sonst denken kann). Ich bin jedenfalls dafür, dass Bücher weiterhin rechtskonform ausgeliehen werden können (und was wäre hierzu das digitale Analogon?) und auch, dass Gedichte anderer (wo sie überhaupt noch rezitiert werden) frei und ohne dabei einen Rechtverstoß begehen zu müssen vorgetragen werden dürfen.

      [] = q.e.d.

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  2. Erneute Rückfrage (entspringend aus dem erneuten Verdacht des non sequitur im Blick auf die voranstehenden Gedanken): Sind die "Moralisierungsthese" (die das gemeinte rechtliche Problem nicht, höchstens eine Formulierung hierzu trifft) und die Idee, das Kopieren von Information und Kommunikation seien schlicht strukturanaloge Sachverhalte (wo kommt denn die Info, die kopiert wird, in der Kommunikation her, wo und wie wird sie "ursprünglich" als Sinn erzeugt?), wirklich schon hinreichend für ein q.e.d.? Geht das nicht etwas sehr schnell? Und was genau soll der Genie-bezogene Erbadel- und Kassier-Vergleich? Sollte man solche (nicht ganz evidenten) Analogien nicht eher ganz weglassen? Quod erat dubitandum (q.e.d.).

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    1. "[] = q.e.d." ist eine Tautologie, nicht das Ende eines Beweises.

      Der Genie/Erbadel Vergleich ergibt sich aus der Definition des Genies als Naturanlage: ist Genie Talente im Sinne einer nicht selbstverantworteten Gabe der Natur, so kann man sich fragen, ob aus solchem Talent ein Recht entspringen soll oder nicht. Wäre das nicht ungerecht? Und gerechter etwa eine Entlohnung nach investierter Mühe?

      "wo kommt denn die Info, die kopiert wird, in der Kommunikation her, wo und wie wird sie "ursprünglich" als Sinn erzeugt?" - genau das wird im ersten Abschnitt gefragt. Ich weiß nicht, ob Luhmann, wenn wir den hier mal zurate ziehen, das Subjekt als "Ursprung" von Informationen deuten würde. Ich glaube nicht. Und was würde das genau heißen. Wichtige Fragen!

      Das "gemeinte rechtliche Problem" müsste hier (über die Begriffe "Schmarotzen" und "Pointe" hinaus) deutlicher expliziert werden, wenn Ziel der Kommunikation eine argumentative Auseinandersetzung sein soll: Wenn es dabei um den Umstand geht, dass das Kopieren multiplizierbarer Waren nicht legal ist (aus Urheberrechtsgründen), dann handelt es sich dabei gerade um das Problem, das hier grundsätzlich angedacht werden soll, ohne dabei eindeutig für die eine oder andere Seite vorzuvotieren.

      Positionen sind erwartbar, gute Argumente nicht.

      q.e.d. = []

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  3. "Heutzutage wird statt q. e. d. auch oft das Symbol ■ verwendet. Dieses Symbol wird Grabstein, Kiste oder Halmos genannt – nach Paul Halmos, der es zum ersten Mal verwendete. Manchmal wird der Grabstein auch offen dargestellt: □." (Urheber: Wikipedia)

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  4. Versuch einer Antwort (gekoppelt mit dem Versuch, an vielleicht überlesene Argumente zu erinnern):

    In der Tat: Wie sollte man aus Talenten schlüssig Rechte ableiten bzw. begründen können? Dieser Punkt war aber nicht eigentlich das Problem, und die Erbadel-Analogie verstellt das vielleicht doch etwas. Die Frage war, ob Genie als Naturgabe ausschließt, dass das "Genie am Werk" ein wichtiges kreatives Arbeits-, vielleicht auch Persönlichkeitsmoment in seine Produkte miteinbringt, so dass deren originäres Entstehen-Können nicht stimmig allein "der Natur" zuzurechnen wäre. Die bekannten philosophischen Eigentumstheorien dürften das wohl mehrheitlich bejahen. Übrigens hat man Kant in puncto Skepsis wider Erbadel und dessen Privilegien ganz auf seiner Seite: In der "Rechtslehre" (MdS, Teil I) argumentiert er für deren Abschaffung.

    Konzediert sei sofort, dass Luhmann wohl nicht in einem "Subjekt" klassisch-begrifflichen Zuschnitts die Genese (Autopoiesis?) von Sinn und Information vermutet haben dürfte. Das haben aber, recht besehen, die Rückfragen auch nicht insinuiert. Der Punkt war eher, dass nicht klar schien, inwiefern das Vervielfältigende an und in der Kommunikation à la Luhmanns mit dem bloßen Kopieren von Informationen streng strukturanalog sei. Was wäre denn ein gutes (freilich nicht erwartbares) Argument dafür?

    Das gemeinte rechtliche Problem besteht im Kern darin, dass es bei Urheberrechten nicht so sehr um den Schutz vor tatsächlicher "Enteignung" einer Ware geht, sondern um den Schutz der Rechtsposition, als Urheber selbst darüber entscheiden zu können, wen man von der Nutzung seiner originären Werke und Konzepte ausschließen und wen man in sie einschließen will. Die vom Urheber nicht konsentierte entsprechende Fremdnutzung ist insofern zunächst und vor allem eine Rechtsverletzung (nicht primär: eine Warenan- oder Enteignung) im Sinne einer illegitimen Vorteilsbeschaffung. Vielleicht kann man im Blick auf diese Rechtskonstruktion ahnen, dass es nicht so sicher ist, ob das Urheberrecht rechtstheoretisch hauptsächlich auf einer Warenanalogie beruht oder eher doch auf einer Freiheits- und Selbstbestimmungsanalogie aufbaut. In der Rechtsphilosophie würde man in vielen Schulen eher letztere Positionen vertreten finden. Insofern würde die unbegrenzte Multiplizierbarkeit von Waren nichts Wesentliches an der rechtstheoretischen Kernfrage des Urheberrechts ändern. Fraglich bleibt aber in der Tat, wie es unter den neuen Umständen effizient zu schützen sei. Dazu macht der Essay ja Vorschläge.

    Die Idee eines digitalen Analogons zur rechtskonformen Leihe (falls sich das konkretisieren lässt) ist fraglos exzellent, man wird sie gerne unterstützen. Das gilt für die Rezitation von Gedichten ebenso: Neben dem Zitations- könnte man ja vielleicht auch ein "Rezitationsrecht" nach analogen Kriterien erwägen.
    Sofern sich auch neue Finanzierungsmodi für "Kulturprodukte" finden ließen, wird auch das jedem willkommen sein.

    Vielleicht kann man dennoch begründet vorsichtiger formulieren, wenn das Subjekt der rechtlich legitimen Zuschreibung von Urheberschaft in Rede steht. Das Urheberrecht wird in vielen modernen Rechtsordnungen den Urhebern nicht vom Staat "gewährt", sondern wird ihnen anerkannt und garantiert. Der Staat votiert also durchaus vor für den Freiheitsschutz der Urheberrechtseigner. Darin könnte man ihm womöglich folgen - und, was der Essay ja umsichtig versucht, die Diskussion hierüber auch intellektuell wieder mobilisieren.

    Der Rückfrager dankt für den erfahrenen Mobilisierungsgewinn, oder, hier vielleicht korrekter: dankt dessen Urheber! Zugleich gab der Rückfrager sich stets Mühe, Tautologien zu vermeiden. Ohnehin wird es ja oft erst jenseits der (T)Autokopie richtig spannend ...

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  5. Luhmanns Verhältnis zum Plagiat8. April 2012 um 17:28

    Dirk Baecker über Luhmanns Verhältnis zum Plagiat:

    "Ich hatte jahrelang einen Lehrer namens Niklas Luhmann, der jedes neue Manuskript, das er fertigstellte, sofort seiner Sekräterin gab und ihr sagte: "Wenn Studenten vorbeikommen, das haben wollen, geben Sie ihnen das bitte!" Und ich habe ihn eines Tages gefragt: "Sagen Sie, haben Sie nicht Angst, dass die Studenten bei Ihnen - und das konnten auch Kollegen sein - dass die bei Ihnen klauen, was Sie gerade erst sich ausgedacht haben?" Und da sagte er: "Wissen Sie, das, was man bei mir klaut, wird bei den anderen sowieso anders aussehen als bei mir - wird in einem anderen Denkzusammenhang auftreten. Und ich bin ja längst dabei, den nächsten Artikel zu schreiben.""

    Was Baecker selbst zu Plagiaten, geistigem Eigentum und alternativen Finanzierungswegen sagt, kann man hier bei den Sternstunden nachsehen.

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  6. Damit zeigt Luhmann sehr schön, was vorher als (mindestens rechtstheoretischer) Kern des Urheberrechts versuchsweise umrissen wurde: Es geht darum, dass der Urheber möglichst selbst darüber entscheiden können soll, wer in die Nutzung seiner originären Werke und Konzepte eingeschlossen werden soll und wer eher nicht.

    Übrigens dürfte Luhmann als ordentlicher öffentlicher Professor wohl nicht hauptsächlich von seinen Publikationen gelebt haben müssen.

    Und vielleicht hat er sich doch auch zumindest ein wenig geirrt (oder, als nächster Akt von Ironie, etwas kokett irren wollen): Erkennt man nicht bei vielen, vielleicht sogar den meisten derjenigen Luhmann-Auswerter, die nicht zitieren wollen, ziemlich gleich, was bei ihnen "wie bei Luhmann" aussieht oder klingt?

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  7. ...lässt sich aufgrund einiger kleiner produktiver (!) Missverständnisse entschuldigen; gibt zu bedenken, dass der Begriff "Urheberrecht" im Text ein einziges Mal vorkommt, und will sich an dieser Stelle lieber von einem Zitat zur "Grundparadoxie des Rechts" vertreten lassen:

    "Das Rechtssystem kann offenbar gewordenem Ungenügen seiner gesetzlichen Konstruktionen nur durch den Anbau weiterer rechtlich formaler und institutioneller Dispositive abhelfen. Es kann andererseits seine Entscheidungsträger dazu anhalten, die formalen Anlagen durch materielles Rechtsgespür der schillernden Realität anzupassen. Es muss die materiell ausgerichtete Praxis bei ihrem Einschlagen neuer Wege wiederum durch formale Verrechtlichung zügeln, kanalisieren und anerkennen."

    (Jean Clam, Kontingenz, Paradox, Nur-Vollzug, S.131)

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  8. Dem Auctor, der ja (unter Lateinern gesprochen) dem Wortsinn nach "Urheber" und zugleich "Mehrer" von Wissen zu sein das Zeug hat (oha, wieder Todtnauberg!), möge man freundlicher Weise bei nächster Kommunikation nebenbei clam-heimlich Dank und Gruß ausrichten! Clam liest sich in diesem Zitat übrigens tatsächlich so, dass es wie "Das Recht der Gesellschaft" klingt, nur wunderbar viel kürzer! Hélas, c'est la France ...

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  9. "Somebody at one of these places asked me: 'What do you do? How do you write, create?' You don't, I told them. You don't try. That's very important: 'not' to try, either for Cadillacs, creation or immortality. You wait, and if nothing happens, you wait some more. It's like a bug high on the wall. You wait for it to come to you. When it gets close enough you reach out, slap out and kill it. Or if you like its looks you make a pet out of it."

    (Charles Bukowski)

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  10. Wenn Johnny Depp sagt, dass er sich niemals seine eigenen Filme anschaut, wenn die White Stripes in ihrem Abschiedspost schreiben "The White Stripes belong to you now and you can do with it whatever you want. The beauty of art and music is that it can last forever if people want it to." dann heißt das doch, dass das Mediale des Films, der Musik, usw., also das, worin und womit sie sich als bleibenden "Wert" konstituieren, in einer Sphäre stattfindet, die jenseits einer Urheberschaft im Sinne eines Ursprunges stattfindet.

    Von UrheberRecht zu sprechen bedeutet doch also nichts anderes als dem "Ursprung" ein zu ökonomisierendes Primat einzuräumen, das aber auf der Ebene der faktischen Medialität, wo das Werk sich als Werk überhaupt erst konkretisiert und verbreitet, als solches überhaupt nicht mehr in Erscheinung tritt.

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    1. Ein Werk veröffentlichen heißt eigentlich, es der Welt als Geschenk zu übereignen. Wo er nicht verkaufen will, will der echte Künstler die Welt reicher machen, nicht sich selbst. Die Kunst ist ein Kind des Überflusses.

      »Nein«, antwortete Zarathustra, »ich gebe kein Almosen. Dazu bin ich nicht arm genug.«

      "Was opfern! Ich verschwende, was mir geschenkt wird, ich Verschwender mit tausend Händen: wie dürfte ich das noch – opfern heißen!"

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  11. Vielleicht stimmt das doch nicht ganz: jedenfalls dann wohl nicht, wenn Johnny Depp in seinen Filmen ja nicht Urheber, sondern nur (gut bezahlter) Schauspieler ist, und der Abschiedsbrief der White Stripes eben ein Vermächtnis darstellt, das typischer Weise nicht am "Ursprung" steht, sondern eben in einem "Abschiedsbrief".

    Was dagegen niemand leugnen wird: Ökonomie ist im Urheberrecht natürlich mit drin. Das hilft manchen Kreativen zum Überleben. Aber ein ökonomisierendes Primum kann man im Umgang mit dem Urheberrecht vermeiden, wenn man es tatsächlich als Freiheitsrecht versteht, möglichst selbst darüber entscheiden zu können, wer in die Nutzung seiner originären Werke und Konzepte eingeschlossen werden soll (vielleicht potentiell "alle") und wer eher nicht.

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    1. Das ist doch etwas zuu einfach! Was genau ein Urheber ist steht ja nicht einfach so fest sondern muss ja festgelegt werden (gerade bei einem Film zum Beispiel!). Wir stehen hier wirklich vor einer neuen herausforderung. So wie ich nicht bestimmen kann, wer eine Geschichte weitererzählt, die ich ihm erzähle, kann ich auch nicht darüber verfügen, ob eine veröffentlichte kopierbare Sache weiterkopiert wird oder nicht. Und das ist vielleicht auch gut so. Hier einfach an gewohnten Gesetzen festzuhalten mag vielleicht einem rechtstheoretiker so gefallen, es kriminalisiert aber über Gebühr viele Nutzer, die neue möglichkeiten zu erkunden versuchen. Studien haben auch gezeigt, dass Leute, die Filme online schauen, statistisch öfter ins Kino gehen als der Rest. Man sollte sich das also nicht zu einfach machen.

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    2. Ganz sicher: Man soll es sich nicht zu einfach machen! Aber offenbar löst wirklich fast niemand diesen Anspruch ein.

      Rechtstheoretiker sind übrigens in der Regel Leute, die weniger über bestehende Gesetze als über Rechtsbegriffe, Rechtsbegründungen, Rechtssystematiken und Rechtsreformen nachdenken. Sie würden vielleicht auch in der Lage sein (wie das positive Recht auch), halbwegs interessante Definitionsangebote für das Konzept "Urheberschaft" zu machen. Manche tun das auch, etwa im neuesten Diskurs über property rights.

      Rechtstheoretiker haben natürlich auch Gefallen an manchem, oft sogar an Paradoxen: z.B. an Rechtshistorikern, die einerseits Bücher oder Artikel darüber schreiben, dass es das Urheberrecht nicht immer gab und daher vielleicht auch gar nie hätte geben sollen, andererseits unter Nutzung des Urheberrechts für ihr Manuskript (evt. auch für das Copyright hieran) von ihren Verlagen ein Entgeld erwarten und einkassieren.

      Aber was war eigentlich der finale Punkt bei dem zuletzt geposteten Beitrag? Etwa: Ohne Urheberrecht gibt es mehr für alle? Das klingt einfach.

      Schwerer scheint: Wie findet man überzeugend heraus, was Leute dazu bringt, es für geradezu ungerecht zu halten, dass sich bei Kreativen nicht alle immer und überall ganz selbstverständlich kostenlos bedienen dürfen? Gibt es nicht schon vielerorts (auch im Netz) ziemlich viel kostenlos zugängliche Kultur für potentiell alle? Muss wirklich alle Kultur, die Arbeit voraussetzt, kostenlos sein? Würde dann nicht jeder Kreative letztlich dazu verdammt, auch dann immer nur "Schenker" sein zu müssen, wenn er/sie es sich eigentlich nicht immer leisten kann?

      Geht es überhaupt bei dieser Debatte hauptsächlich um Kultur überhaupt oder spezifischer um die Copyrights- und Unterhaltungsindustrie im digital age? Könnte man das mal plausibel klären?

      Man sollte sich das also nicht zu einfach machen.

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