Mittwoch, 29. August 2012

Technik als praktische Naturkritik


Gesellschaftskritik
ist heute immer und überall zu haben. Jeder kann heute überall (wirklich?) Gesellschaftskritik immer kostenneutral und gewinnversprechend üben. Gesellschaftkritik heißt dabei oft: 
1. Verantwortliche identifizieren. 2. Handlungsalternativen als (problem-)relevant, dann als durchführbar und schließlich auch noch als mindestens höchstwahrscheinlich erfolgreich markieren. 3. Selbstentantwortung mangels eigener problem-relevanter Handlungsalternativen ("Wir können eh nix machen.").
Ganz anders steht es scheinbar mit Naturkritik: "Eine [...] "Naturkritik" im physikalischen, chemischen oder biologischen Sinne wäre höchstens als Witz vorstellbar." (Peter V. Zima) Natur ist halt so da. Irgendwie vorausgesetzt kam sie uns immer zuvor: Bedingung der Möglichkeit menschlicher Existenz. Sie zu kritisieren müsste ja heißen: Kritik üben, wo keiner (oder nur höchstens ein Allerhöchster) da ist, der als Zurechnungsadresse für Verantwortung (und eigene Selbstentantwortung) in Betracht käme: Die Bedingungen der Möglichkeit von Kritik sollte man nicht kritisieren.

("Und nochmal" - Franz von Stuck)
Tatsächlich findet Naturkritik praktisch immer und überall schon statt. Sofern die Natur (verstanden hier als Situation und nicht als lebenstragende Ressource) vor allem auch dadurch auffällt, dass nicht alles von sich aus schon so ist, wie es sein soll. Eigenes Eingreifen bleibt immer nötig: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, also muss man immerhin noch hinlaufen, um ihn aufzuheben. So, wie alles ist, ist es (ohne Eingreifen) also noch nicht gut: etwas muss getan werden. Dieses Tun ist damit immer praktische Kritik am status quo. (So wird auch das Eintippen eines Wortes in die Tastatur zur praktischen Kritik an einer Situation, in der das Wort noch nicht auf dem Bildschirm steht.) Die Natur steht immer irgendwie in sich selbst (uns) auch im Weg (aber im Weg zu was eigentlich?).
Jener Widerstand muß allmählich schwächer, und endlich erschöpft werden [...]; jene Ausbildung muß endlich vollendet, und das uns bestimmte Wohnhaus fertig werden. Die Natur muß allmählich in die Lage eintreten, daß sich auf ihren gleichmäßigen Schritt sicher rechnen und zählen lasse und daß ihre Kraft unverrückt ein bestimmtes Verhältnis mit der Macht halte, die bestimmt ist, sie zu beherrschen, - mit der menschlichen.
(Fichte, Bestimmung des Menschen)
Es sind also weitere Schritte nötig, Schritte, durch die die Situationen zu einer Situation wird, in der dann wieder weitere Schritte nötig werden: Handeln. Und Handeln ist, physikalisch betrachtet, immer Arbeit:
Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber.
(Marx, Kapital)
Damit wird Arbeit zur praktischen Selbstkritik der Natur. Diese Kritik bleibt immer nötig, sofern überhaupt noch etwas nötig ist. Ihre greifbare Gestalt findet sie in der Technik. Die Aufgabe der Technik besteht in der Abkürzung der immer nötigen (Um)Wege. Die optimistisch betrachtete Entwicklung der Technik ist sukzessive Ent-arbeitung der Arbeit durch Einbau der zu bewältigenden Arbeit in die Natur selbst. Die natura naturata wird in der selbstständigen Technik Beihilfe zur Bewältigung (und im angestrebten Idealfall möglicherweise sogar: Ersetzung) der nötigen Arbeit, Beihilfe zur Entnötigung der Welt. Die Naturkritik wäre da beendet, wo keine Arbeit mehr von der "Naturmacht" Mensch geleistet werden müsste. Ihre Richtung erhält sie vom imaginären Gebot der Notlosigkeit, dem Gebot zur globalen Entwiderständigung der Natur.

Technik ist damit also nicht nur Erweiterung der eigenen Handlungsreichweiten, sie ist auch greifbares Zeichen des Nicht-einverstanden-Seins mit der Natur, wie sie von sich aus war: Natura naturans als natura naturata (und umgekehrt). 

Wäre nur die Frage, wie ein Zustand vorzustellen wäre, in dem das imaginierte Ziel der Entwiderständigung wirklich erreicht ist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen