Dienstag, 24. Juli 2012

Das kybernetische Manifest

[Re-Entry vom 17.01.12]
(Marx hat sich was ausgehackt)
Ein Gespenst geht um in der Welt -- das Gespenst der kybernetischen Intelligenz. Alle Verteidiger des alten Denkens haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet, Schulen und Universitäten, Medien und Machthaber, französisch-postsrukturalistische Radikale und deutsch-analytische Polizisten. 
Wo ist ein raffiniertes Denken, das nicht von seinen realen und virtuellen Widersachern als relativistisch verschrien worden wäre, wo das raffinierte Denken, das den Fortgeschritteneren sowohl wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf des Phallozentrismus nicht zurückgeschleudert hätte?
Zweierlei geht aus dieser Tatsache hervor. 
Das kybernetische Denken wird von allen bestehenden Mächten bereits als eine Gegenströmung anerkannt. 
Es ist hohe Zeit, dass die kybernetischen Denker ihre Anschauungsweise, ihr Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des kybernetischen Denkens ein Manifest der Sache selbst entgegenstellen...

I

Die Geschichte allen bisherigen Denkens ist eine Geschichte der Positionskämpfe. Idealist und Materialist, Rationalist und Empirist, Realist und Anti-Realist, Post-Strukturalist und Szientist, kurz, Affirmateure und Negateure problematischer Thesen standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf. Heute machen sie die Augen auf und bemerken: Trotz aller redlicher Bemühung sind ihre Gegner noch immer nicht überzeugt; manche von ihnen zeigen erste Ermüdungserscheinungen ("Bitte keine Argumente mehr..."), wieder andere verfallen in vorkantianisch-dogmatischen Schlummer, träumen den Traum einer Erkenntnis ohne Methode und wollen erst wieder aufstehen, wenn die unsichtbare Hand des Diskurses das große Problem gelöst hat, während sie von den vielen kleinen Problemen träumen.
Das alte Denken -- "kausalanalytisch oder finalsynthetisch", Benn, Probleme der Lyrik -- hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterliche Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut im eiskalten Wasser ihrer Analysen und assoziativen Spekulationen ertränkt. 
Die Methoden, womit es seine Diskussionen bis zum heutigen Tage erfolgreich vorwärts trieb, richten sich nun langsam gegen dieses Denken selbst. 
Aber das alte Denken hat nicht nur die methodischen Waffen geschmiedet, die ihm jetzt so bedrohlich gegenübertreten, es hat auch die Tendenzen hervorgebracht, die diese Methoden verwirklichen werden -- das moderne Denken, die kybernetische Intelligenz. 
Das kybernetische Denken hat die alten Positionskämpfe hinter sich gelassen, es ist nicht mehr einfach PhänomenologIn oder SoziologIn oder PoststrukturalistIn oder analytische PhilosophIn, die kybernetische Intelligenz denkt post-positional, sie beobachtet bestehende Diskursfelder, ordnet Argumentationszüge, findet strukturelle Analogien, bewertet Reichweite und Geschick bestehender Theorieversuche; aber sie findet in sich keinen Grund, sich auf bestimmte Positionen letztgültig festzulegen:  
Die einzige Möglichkeit, die Einlösung eines Geltungsanspruches aufgrund eines Zweifels zu vermeiden, ohne die eigenen argumentativen Ziele zu gefährden, besteht also darin, daß man bestimmte Geltungsansprüche gar nicht erst erhebt – man ist solange unkorrigierbar, wie man eine Verpflichtung auf eine Aussage vermeidet. Eine solche Weigerung, sich auf eine These festzulegen und für diese dann auch argumentativ geradezustehen, kann freilich in bestimmten Debattenlagen nicht nur prudentiell sinnvoll sein, sondern gerade dazu beitragen, die Debatte durch eine genaue Unterscheidung verschiedener Argumentationsstränge einem Ergebnis näher zu führen.
(Thorsten Sander, Beweislastverteilung und Intuitionen in philosophischen Diskursen)
Das kybernetische Denken ist an der Letzt-Entscheidung von Debatten nicht länger, nicht primär interessiert, es hat die altmodischen Klassenkämpfe hinter sich gelassen, ordnet sich keinem Verein zu, glaubt aber auch nicht, dass es sich mit übermäßigen Energieinvestitionen von allem und jedem abgrenzen müsste -- es möchte lieber vermitteln als sich zu unterscheiden. Sein Interesse gilt den Problemen und ihren möglichen Lösungen. Es beobachtet aufmerksam und versucht zu verstehen, welche Schritte außerdem möglich wären und welche Voraussetzungen uneingestanden die bisherigen Problemstellungen erzeugten. Es stellt Fragen. Es ist ein Spürhund der Naivität, vor allem und zuerst der eigenen.
Das positionelle Missverständnis dagegen degradiert es zum hilflosen Verteidiger einer paradoxen Position: "Es behauptet, dass es wisse, dass es nichts wisse.", "Es ist einfach nicht mutig genug, sich auf eine Position festzulegen.", sagen seine Kritiker und lachen. Aber das kybernetische Denken hat sich noch gar nicht ins Begründungsspiel der Positionalisten eingekauft, es weiß um seine "exzentrische Positionalität" (Plessner), die immer Sache des Denkens ist, nicht Sache der Praxis. Was beim Handeln Not tut: die Einfrierung des an sich beweglichen Denkens, das Sich-Festlegen auf "dies und nicht das", die provisorische Fixierung eines eigentlich flüssigen Mediums lässt es zugunsten seiner denkerischen Eigenbeweglichkeit sausen. Das Denken selbst braucht sich nicht endgültig, allenfalls provisorisch festzulegen, das Denken ist kein prozedierendes Kalkül im argumentativen Apparat, keine endliche Maschine; und eine Diskussion eines Problems ist kein Fußballspiel mit gezählten Treffern, Halbzeitpause und endloser Verlängerung.
Man hatte in seiner Gegenwart stets das Gefühl, daß alle Ideen und  Gesichtspunkte, die um ihn herum laut wurden, in ihm versammelt waren, und daß er, ironisch zuhörend, es den einzelnen menschlichen Verfassungen überließ, sie zu äußern und zu vertreten. 
(Thomas Mann, Doktor Faustus)
Aber seine "Ironie" ist nicht "dämonisch", sie ist, wenn man so will, die Ironie der Sachen selbst, die immer ein wenig verwickelter sind, als die Denkenden alten Zuschnitts sie gerne hätten. Keine noch so suggestive Sprache -- und wenn sie, "wie es eine rechte Sprache tun muß, von einem Wort zum anderen führte und in jedem mehr sagte, als man eigentlich wusste" (Musil, MOE) -- ist ihm ganz geheuer, es probiert lieber sicherheitshalber immer noch eine andere Sprache zur Beschreibung derselben Sachverhalte aus -- das kybernetische Denken ist Kind seiner Zeit:
Man wird auch nicht fehlgehen mit der Annahme, daß die Gesellschaft [...] langfristig-konditionierende Bedingungen vorgibt, die etwa einem urbanen, beweglichen, anpassungsfähigen, taktisch-rationalen Gefühl und Wirklichkeit trennenden Menschentyp mit hohem Potential für "Dahingestelltseinlassen" besondere Bestätigungschancen gibt.  [...] In ihnen wird die soziale [!] Kontingenz der Welt bewußtseinsfähig.
(Luhmann, Vertrauen)

35 Kommentare:

  1. "Kybernetisch denkt - dem ursprünglichen Wortsinn nach - der Steuermännische, Peilende, Navigierende, kaum der Bloß-Beobachter. Was das heißt? Positionen dazu, bitte! Ganz ohne Standpunkt geht die Chose nicht. Kurzum: Es geht kein Bi-Ba-Butze-Mann im Kyber-Space herum, der alles checkt und nirgends ist, denn sonst fiele er um.

    Aber klar: Es ist so gut, so schön, zu denken, dass man unbefangen denken kann. Das kann man auch. Aber das ist eine (womöglich beobachtete) Position.

    Und jetzt, lieber Ackermann, wollen wir dem Karl schellen, dass er uns das Egerwasser nachschenke. Harrt man nur aus, so bringt die Zeit alles heran."

    Johann Wolfgang von Goethe, Gespräche mit Ackermann, HA Bd. XIV, S. 321 f.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. "Es kommt nur immer darauf an," fuhr Goethe fort, "daß derjenige, vom dem wir lernen wollen, unserer Natur gemäß sei." - Goethe, Gespreche mit E.

      Sobald das kybernetische Denken sich zu äußern beginnt, bewegt es sich praktisch (!) innerhalb bereits limitierter Kontexte. Aber es tut dies stets in dem Bewusstsein, dass alternative Anfänge und Ansätze (alternative "Positionen") ebenso möglich wie legitim wären. Es ist hierin aber nicht ortlos (wie könnte es das sein?), sondern transitorisch und weiß sich darin verwandt mit einer "Art Nomaden, die allen [allzu] beständigen Anbau des Bodens verabscheuen" (Kant, Kritik der reinen Vernunft, Vorrede).

      Das heißt nicht, dass es sich nicht bisweilen mit langfristigeren Versuchen hervorwagt; es hat dabei aber immer „zugleich etwas Spielerisches, Künstlerisches, Selbstironisierendes an sich.“ (Luhmann, Gibt es ein System der Intelligenz?, Intellektuellendämmerung, 57)

      Daher taugt es auch nicht für Schwärmereien der Überlegenheit. Das kybernetische Denken weiß nichts besser, allenfalls komplizierter und tanzt dabei in unserm Kreis herum, dideldum, – solange es um seine eigenen (ihm selbst bisweilen unzugänglichen) Limitation weiß:

      "Hier muß man den Beobachter beobachten, um zu erkennen, was er beobachten und was er nicht beobachten kann. Wie man weiß, hat bereits Hegel eine solche „Entzweiung“ für unbefriedigend gehalten und versucht, sie durch eine Geschichtslogik zu überwinden. Die Neokybernetik der Theorie beobachtender Systeme löst das Problem auf andere Weise, nämlich durch Verlagerung aller Erkenntnis auf die Ebene des Beobachtens von Beobachtern.

      Luhmann, "Ich sehe was, was Du nicht siehst", Soziologische Aufklärung V, 221

      Löschen
  2. Mir scheint der Autor hält sich für besonders geistreich, aber er ist außerordentlich geistreich.

    Das subalterne Gespenst war wohl ein Missverständnis. Beim oberflächlichen Lesen der Texte habe ich aus Eile einiges durcheinandergeworfen.

    Ich werde die Verwirrung in meinem Kopf erst einmal wieder sortieren.

    Sowas kommt in den besten Familien vor.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Allerdings. ^^.

      Löschen
    2. "Allerdings. ^^."

      [Der Autor empfiehlt:

      "2. Höre sympathetisch, nicht kriminalistisch

      2.1 Verständigung setzt gegenseitig gewährten Vertrauensvorschuss voraus

      2.1.1 Der kriminalistische Hörer weiß, welchen Verdacht er bestätigen will und sucht Indizien

      2.1.2 Der sympathetische Hörer vermutet, dass er möglicherweise selbst noch gar nicht genau weiß und traut dem Gesagten zu, ihm das - und vor allem auch anderes, mit dem er überhaupt nicht gerechnet hatte - zu zeigen

      2.2 Das Mitgehen mit Gesagtem findet sein ideales Ziel nicht in der Fähigkeit zur verlustfreien Reformulierung in eigenen Worten sondern im Sein-bei den, bzw. dem Mitbewohnen der gesagten Worte"

      und ist natürlich bemüht, die "evokativen hypothetischen Imperative" selbst zu beherzigen]

      Löschen
  3. "Sobald das kybernetische Denken sich zu äußern beginnt, bewegt es sich praktisch (!) innerhalb bereits limitierter Kontexte."

    Wir kennen das Drama: Odysseus - unser abendländischer Protokybernet - muss sich, um an den Sirenen sicher vorüber zu fahren, binden lassen. Das ist ein Ausdruck seiner Klugheit, seine List. "Metis".

    Eine entscheidende Frage wäre aber, ob Odysseus tatsächlich unbeschadet die Sirenen passiert. Was geschieht nämlich dem gefesselten Odysseus?

    Mag sein, dass das kybernetische Denken "lieber vermitteln als sich zu unterscheiden" möchte. Vielleicht ist das sogar ein wichtiger erster Antrieb für seine Fahrt durch die Sprache. Aber de facto wird es sich unterschieden haben und dies auch äußern müssen. Es wird dabei wenigstens die Gewalt dieser geäußerten, d. h. wirklichen, Unterscheidung spüren müssen (die Härte der eigenen Fesseln) - um von den Qualen des trotzdem hörenden Odysseus bei seiner Vorbeifahrt an den Sirenen noch zu schweigen. (Und andererseits ganz abgesehen von den Sirenen selbst, von denen manche wohl meinen, sie seien aus Gram über ihre Niederlage schließlich zu Grunde gegangen.)

    -"Dämonisch" wäre noch das Mindeste, was man von einem kybernetischen Denker sagen müsste, der diese Konsequenzen für alle an dem Drama beteiligten Figuren "ironisch" verschweigt.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das Schweigen der Sirenen

      Beweis dessen, daß auch unzulängliche, ja kindlich Mittel zur Rettung dienen können:
      Um sich vor den Sirenen zu bewahren, stopfte sich Odysseus Wachs in die Ohrem und ließ sich am Mast festschmieden. Ähnliches hätten natürlich seit jeher alle Reisenden tun können, außer denen, welche die Sirenen schon aus der Ferne verlockten, aber es war in der ganzen Welt bekannt, daß dies unmöglich helfen konnte. Der Sang der Sirenen durchdrang alles, und die Leidenschaft der Verführten hätte mehr als Ketten und Mast gesprengt. Daran aber dachte Odysseus nicht, obwohl er davon vielleicht gehört hatte. Er vertraute vollständig der Handvoll Wachs und dem Gebinde Ketten und in unschuldiger Freude über seine Mittelchen fuhr er den Sirenen entgegen.
      Nun haben aber die Sirenen eine noch schrecklichere Waffe als den Gesang, nämlich ihr Schweigen. Es ist zwar nicht geschehen, aber vielleicht denkbar, daß sich jemand vor ihrem Gesang gerettet hätte, vor ihrem Schweigen gewiß nicht. Dem Gefühl, aus eigener Kraft sie besiegt zu haben, der daraus folgenden alles fortreißenden Überhebung kann nichts Irdisches widerstehen.
      Und tatsächlich sangen, als Odysseus kam, die gewaltigen Sängerinnen nicht, sei es, daß sie glaubten, diesem Gegner könne nur noch das Schweigen beikommen, sei es, daß der Anblick der Glückseligkeit im Gesicht des Odysseus, der an nichts anderes als an Wachs und Ketten dachte, sie allen Gesang vergessen ließ.
      Odysseus aber, um es so auszudrücken, hörte ihr Schweigen nicht, er glaubte, sie sängen, und nur er sei behütet, es zu hören. Flüchtig sah er zuerst die Wendungen ihrer Hälse, das tiefe Atmen, die tränenvollen Augen, den halb geöffneten Mund, glaubte aber, dies gehöre zu den Arien, die ungehört um ihn verklangen. Bald aber glitt alles an seinen in die Ferne gerichteten Blicken ab, die Sirenen verschwanden förmlich vor seiner Entschlossenheit, und gerade als er ihnen am nächsten war, wußte er nichts mehr von ihnen.
      Sie aber – schöner als jemals – streckten und drehten sich, ließen das schaurige Haar offen im Winde wehen und spannten die Krallen frei auf den Felsen. Sie wollten nicht mehr verführen, nur noch den Abglanz vom großen Augenpaar des Odysseus wollten sie so lange als möglich erhaschen.
      Hätten die Sirenen Bewußtsein, sie wären damals vernichtet worden. So aber blieben sie, nur Odysseus ist ihnen entgangen.
      Es wird übrigens noch ein Anhang hierzu überliefert. Odysseus, sagt man, war so listenreich, war ein solcher Fuchs, daß selbst die Schicksalsgöttin nicht in sein Innerstes dringen konnte. Vielleicht hat er, obwohl das mit Menschenverstand nicht mehr zu begreifen ist, wirklich gemerkt, daß die Sirenen schwiegen, und hat ihnen und den Göttern den obigen Scheinvorgang nur gewissermaßen als Schild entgegengehalten.

      Löschen
    2. "...und gerade als er ihnen am nächsten war, wußte er nichts mehr von ihnen."



      Bemerken wir jetzt noch, dass auch noch Kafkas Odysseus in der geradezu unscheinbar winzigen Lücke seinen Auftritt hat, die zwischen "Theorie" und "Theoriepraxis" - wie das oben in den Texten ja angedeutet wurde: nämlich der Übergang von Theorie (Blick in die Ferne: Ozean des Möglichen: "Auge der Unendlichkeit", Blaues (aber auch: die unheimliche Weiße des Papiers) zu ihrer faktischen Äußerung (praktisch notwendige Wahl der Route; wirkliche Linien ziehen durch das Offene, Ungeheure (das weiße Papier schwärzen: Schrift als List) - liegt, dann sehen wir, dass mit dieser Lücke bereits ein wie auch immer wilder, flüssiger (Thalassa!), d. h. intensiver (und vielleicht nicht einmal, was den Theoretiker-Kybernetiker angeht ganz "intentional" durchmessbarer) Aufenthaltsbereich für dieses Denken angebbar geworden zu sein scheint.

      Es ist nicht unmöglich, sich mit einem solchen kybernetischen Denken auseinanderzusetzen, aber das verlangt einen elementaren Wechsel der Ebenen: von Land zu Meer, - und damit ändern sich auch alle anderen Bedingungen und wir benötigen auf einmal eine andere Aufmerksamkeit, einen überraschend beweglich gewordenen Verstand. Ja, wir müssen uns hier ganz anders als zuvor "aufs Spiel setzen". Immer in der Gefahr das Wesentliche aus den Augen zu verlieren: "Thalassa", die "kleinste Kluft", das, wo alles vor sich geht (d. h. auch, noch einmal: den stummen Hintergrund der Schrift, der manchmal laut wird, durch den auch Stürme fegen); immer in der Gefahr, dass wir dann irgendwo stranden (und notgedrungen unser Lager aufschlagen: wieder einen Standpunkt beziehen...), dass unsere Klugheit nicht ausreicht und wir Schiffbruch erleiden; dass wir die falschen Routen wählen, oder unsere Fesseln zu locker sind: es gibt tausend Gründe unzeitig und spurlos im Offenen zu verschwinden.

      Was unseren Autor hier anbelangt und seine "Augen der Wunderwelt", welche er in freier Fahrt mit uns erkundet:

      Lieber junger Kybernet, lieber "Neo-Odysseus", - >Ich< erwarte Dich >>hinter den Säulen des Herakles<<!

      Löschen
    3. einerdereswissenwill28. Juli 2012 um 14:24

      "Sobald das kybernetische Denken sich zu äußern beginnt, bewegt es sich praktisch (!) innerhalb bereits limitierter Kontexte."

      Bevor hier vollends alles in mythischen Tonlagen verschwimmt und uns die Schärfe der Unterscheidungen in vagen Analogien abhanden kommt, hätte ich aber vorher schon gerne von jemandem, der sich dafür zuständig fühlt, gewusst, was es denn genau mit dieser "praktischen Bewegung" des kybernetischen Denkens in limitierten Kontexten auf sich hat? (Wenn möglich nicht in Gleichnissen geredet, bitte!)

      Löschen
    4. einerdersichaneinerantwortversucht28. Juli 2012 um 16:08

      "Das >Feste< wird dann auf das >Fließende< gegründet" (Luhmann)

      Ohne tragendes Element und jeweils in situ praktizierte Unterscheidungen kann sicher auch das "kybernetische Denken" sich gar nicht äußern, bzw. zeigt es sich ja eigentlich nur in der Bewegung eines stetigen Unterscheidens, wenn ich es richtig verstehe. Es dürfte ja sich sonst gar nicht äußern. Die Frage, die mich beschäftigt, ist dann aber, welches Verhältnis es, sich auf das Fließende gründend, zu diesen Unterscheidungen eigentlich hat (oder haben müsste).

      [Aber man kann natürlich auch zurückfragen: Was heißt das eigentlich: "eine Position haben"? Wie kann man das überhaupt "machen"? Dis-positionaler Definitionsvorschlag: "Eine Position haben" heißt, sich in einem Äußerungszusammenhang für bestimmte Sätze verantwortlich zu zeigen, sie zu wiederholen und gelegentlich auch mit Argumenten "nachzulegen". [Aber trifft das nicht auch für ein "kybernetisches Denken" zu? Was wäre dann überhaupt noch der Witz?]]

      Zur Frage nach dem Verhältnis von Vagheit und Schärfe dazu:

      "Je genauer wir die tatsächliche Sprache betrachten, desto stärker wird der Widerstreit zwischen ihr und unsrer Forderung. (Die Kristallreinheit der Logik hatte sich mir ja nicht ergeben; sondern sie war eine Forderung.) Der Widerstreit wird unerträglich; die Forderung droht nun, zu etwas Leerem zu werden. - Wir sind aufs Glatteis geraten, wo die Reibung fehlt, also die Bedingungen in gewissem Sinne ideal sind, aber wir deshalb auch nicht gehen können. Wir wollen gehen; dann brauchen wir die Reibung. Zurück auf den rauhen Boden!" (Wittgenstein, PU)

      Es kommt also dabei (!), während es sich zeigt, gar nicht um Wertsetzung/Gewalt/Voraussetzung von Unterscheidungen herum:

      "Werte fungieren als Regeln der Vorziehungswürdigkeit von Handlungen (also auch: Theoriehandlungen). Ihre Annahme verleiht einem Bereich möglicher Selektion Struktur. Ohne Struktur kann man nicht rational, sondern allenfalls nach dem Prinzip der Indifferenz wählen. Strukturlos-beliebige Wahlen gibt es allenfalls in einer künstlich isolierten Situation, in die man durch Werturteil (!) eintritt. (...) Wertfreie Intersubjektivität ist praktisch unmöglich." (Luhmann, Die Praxis (!) der Theorie)

      Sofern also ein "kybernetisches Denken" überhaupt irgendetwas sagen, sich bewegen will, muss es in dem, was es sagt, auch irgendetwas zeitweise "feststellen", damit es nicht aufs Glatteis gerät. Oder es muss, wenn es da schon draufgeraten ist, irgendwie dafür gerüstet sein, auf Glatteis ohne Reibung trotzdem irgendwohin voranzukommen (?). Das ist ziemlich vage.

      Oder halt so:

      "Wir könnten uns doch sehr wohl denken, daß sich Menschen auf einer Wiese damit unterhielten, mit einem Ball zu spielen, so zwar, daß sie verschiedene bestehende Spiele anfingen, manche nicht zuende spielten dazwischen den Ball planlos in die Höhe würfen, einander im Scherz mit dem Ball nachjagen und bewerfen, etc. Und nun sagt Einer: die ganze Zeit hindurch spielen die Leute ein Ballspiel, und richten sich daher bei jedem Wurf nach bestimmten Regeln.
      Und gibt es es nicht auch den Fall, wo wir spielen und - "make up the rules as we go along"? Ja auch den, in dem wir sie abändern - as we go along." (Witty, PU)

      Löschen
  4. Sehr schön, es könnte nur ein Haken an der Sache sein. Mit dem kybernetischen Manifest wird das Denken selbst von der Praxis (Stichwort Notwendigkeiten) unterschieden und gegen diese verteidigt. Nur jenes sei offen, kontingenzbewusst und könne neue Möglichkeiten erforschen. Sogar solche, die ich noch gar nicht gewusst habe, bevor ich sie ausgesprochen habe.

    Wie wäre es mit folgendem Vorschlag: Eigentlich ist die Praxis flüssig, lässt eindringen und dringt ein, macht die Dinge beweglich und eröffnet neue Perspektiven. Denn die Praxis beruht auf Problemen, die eine Lösung verlangen. Jede Lösung ist etwas Neues, eine Möglichkeit und eine Erfindung, gar ein Geistesblitz. Ohne Lösungen, die auch noch stets imperfekt sind und neue Lösungen verlangen, gäbe es erst gar keine Optionen.

    Das Denken hingegen ist viel öfter starr, verhärtet und hat geschlossene Ohren. Das hat zum einen damit zu tun, dass das Denken eben nichts mit Problemen zu tun hat und es sich deswegen leisten kann, auf der Stelle zu treten. Zum anderen (und wichtiger) ist das Denken in einem erheblichen Maße mit der persönlichen Identität
    verknüpft. Ich bin, was ich denke. Aus diesem Grund kann das Denken nicht beliebig oft und schnell verändert werden, das braucht alles seine Zeit. Außerdem braucht das Denken aufgrund dieser Verknüpfung einen Minimalschutz. Denkende Leute können auch nicht beliebig aufeinander einwirken, irgendwann tritt es zu nahe. Aus der Kombination von Zeitbedarf und Schutz ergibt sich Positionalisierung, um die kein Denken herum kommt.

    Wahrscheinlich stimmt es, dass Ulrich sich auf nichts einlässt und sich immer alle Optionen offen hält - der alte Besserwisser - und damit seine Umgebung verrückt macht. Obwohl er sich nun von Positionen fern hält, macht er, was sein Vater gesagt hat. Sein Denken und Sprechen sind Lustgewinn und vielleicht Lustersatz. Sie sind keineswegs ohne Position (gegenüber dem Vater), sie leisten das, was der Vater nicht kann. Ihre Bedeutung für Ulrich ist daher auch nicht kontingent.

    AntwortenLöschen
  5. Das ist der Punkt! Danke für diese Klärung; hoffentlich merken viele, dass es eine ist.

    AntwortenLöschen
  6. Ich denke, also weder die Praxis noch das Denken sind per se flüssig oder fest, die Hoffnung bleibt in der Büchse. Ein einmal gelegtes Fundament ist gelegentlich "starr, verhärtet", ein einmal sich-festsetzendes Denken ist das öfter auch - es kommt in beiden Fällen auf den Bau- oder Denkstil an [leicht, mobil, nomadisch oder starr, sicher, positional]. Die Frage ist auch, wie wir das - wir Stimmen hier zum Beispiel - zusammen fest-stellen könnten? Durch unsere Intuitionen? ("Ich glaube, das Denken ist starr!" - "Genau, das ist der Punkt! [Im Feststellertonfall: "Ich bestätige jetzt hier die Wahrheit. Hoffentlich merken das viele."]") Eine Frage könnte hier sein: Was heißt Denken?

    Der Hinweis auf die kreativen, dynamischen Momente der Praxis erscheint mir dabei sehr weiterführend. Wir müssten hier wahrscheinlich überhaupt mehr unterscheiden, als das im KM geschieht: "Die Praxis", "das Denken". Das ist doch etwas sehr einfach. Ist das Denken nicht, als Geschehen, seinerseits auch Praxis, muss sich auf irgendetwas bestimmtes beziehen (und auf anderes nicht)? Und ist die Praxis nicht ihrerseits gerade beweglich und Kontingenzen allererst aufschließend, leuchtet nicht erst in der angewandten Unterscheidung der Weltwiderstand, die Weltüberraschung auf, von denen her Veranderungen erst eigentlich möglich werden? ("Ist die Unterscheidung dann vielleicht idealtypisch gemeint?" "Denk schon, sonst würde das ja gar keinen Sinn machen.")

    Vielleicht sollte man die Begriffe des Provisorischen, Dilettantischen noch stärker in den Fokus rücken, die ja um die genannten Punkte herumliegen, die im KM eher in der Präriepherie stehen, dazu: Der Dilletant - Ein Inkompetenz-Überkompensator):

    "Wer nicht genug Zeit zu Vorbereitung und Ausarbeitung seiner Lösungen hat, der muss sich bewusst dilletantisch an die Bewältigung seiner Probleme wagen. [...] Das Trotzdem-Anfangen zeichnet den Dilletanten vor dem militanten Philosophen aus, der seine Probleme erst bis ins Letzte verstanden wissen will, bevor er mit irgendetwas anfängt. Der Philosoph, so verstanden, muss keine Lösungen verkörpern, er kann seine ganze glorreiche Ratlosigkeit als messerscharfe Problemanalyse formulieren und den Dilletanten dafür kritisieren, dass er auf einige Eventualitäten auf keinen Fall vorbereitet ist. [...] Während der Philosoph von der Vorstellung lebt, unendlich viel Zeit zu haben, um alle Probleme zu lösen, richtet sich der Dilletant im Provisorischen ein, um mal zu schauen, was auch von hier aus schon möglich ist."

    [Ulrich verachtet übrigens den Dilettanten, das mag hier - von Seiten "des Autors" - ein wichtiger Hinweis sein, der dem MOE vielleicht den Verwurf der Entantwortung entgegenhalten würde]

    Was mich interessiert ist die Frage, was genau es bedeutet, dass das Denken "in einem erheblichen Maße mit der persönlichen Identität verknüpft" sei. "Ich bin, was ich denke." Was heißt das eigentlich? Ich würde die Intuition verstehen, dass man Starrheit und "geschlossene Ohren" häufig mit Personen assoziiert (wer kennt sie nicht?). Ich denke auch, dass viele, die denken, im Denken "nichts mit Problemen zu tun" haben -- das halte ich allerdings für ein Problem.

    Letzte Frage: Wer hält sich alle Optionen offen?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ein in meinen Augen sehr ansprechender Vorschlag zur genaueren Bestimmung des Unterschieds zwischen der Theorie in ihrer "unveräußerlichen Dynamik" und ihrer jeweilig eingeschränkten Verfassung in konkreter Situiertheit schien mir einerdersichaneinerantwortversucht in seiner Antwort zu geben. Ich wiederhole:

      "Ohne tragendes Element und jeweils in situ praktizierte Unterscheidungen kann sicher auch das "kybernetische Denken" sich gar nicht äußern, bzw. zeigt es sich ja eigentlich nur in der Bewegung eines stetigen Unterscheidens, wenn ich es richtig verstehe."

      Das lässt sicher wie alles andere mehrere Lesarten zu. Wenn ich nun aber versuche das darin zur Sprache kommende Verhältnis noch genauer zu artikulieren, dann hieße dies, dass die in situ praktizierten Unterscheidungen gegenüber dem, was das kybernetische Denken sozusagen noch vor seiner konkreten "Anwendung" wäre, vor allem eine >Frequenzmodulation< des Unterscheidens darstellen könnte.

      Die noch "virtuelle" Theorie diesseits ihrer situativen Kontextgebundenheit, die Theorie des Ungeheuren, Offenen, Monströsen - oder wie auch immer - "zeigte" sich als Theorie "eines" (gen. subj. u. gen. obj.?) >>"stetigen Unterscheidens"<<, wobei auf das Wörtchen "stetig" das Gewicht fiele. Die Praxis der Theorie bestünde so gesehen dann darin, die Stetigkeit, oder - man darf spekulieren - die >unendliche Kontinuität< des Unterscheidens (was wird dabei eigentlich unterschieden?) gewissermaßen auf ein endliches, begrenztes, überschaubares Maß herunter zu modulieren. Der Preis dafür wäre aber - und das liegt ja hier überall schon irgendwie "in der Luft" - die Einführung einer Diskontinuität in jene "stetige Bewegung des Unterscheidens", die ja damit gar nicht mehr so stetig wäre.

      "Wir müssten hier wahrscheinlich überhaupt mehr unterscheiden,..."

      Was die Auseinandersetzung von Positionalität und einer gewissen A-Positionalität des Denkens angeht, ließe diese sich so auf ein je spezifisches Verhältnis zur eigenen Kontextualität zurückführen, wobei das starre Standpunktdenken als ein Denken erschiene, das in einem sehr bestimmten Sinne >träge< zu nennen wäre, (so, wie man ja auch von der Massenträgheit spricht) - es wären Denkweisen, die insofern "verharrende" wären, nicht als sie ein bestimmtes Dogma als den Inhalt verträten, sondern als sie in einer bestimmten relativ stabilen Frequenz des Unterscheidens ihr Genügen hätten.

      Wir dürfen - um die mythischen Bilder nicht ganz aus den Augen zu verlieren - weiter vermuten, dass die Fahrt des kybernetischen Denkens gerade hier in der Konfrontation mit den endliche(re)n Unterscheidungspraktiken seinen Sirenen (d. h. seinen Sireneninseln als spezifischen Kontexten, ausdifferenzierten und so und so codierten Diskursformen) stünde: >ironischerweise< bestünde nun aber die einzige Strategie, um heil an diesen Figuren vorbeizukommen darin, selbst eine ganz spezifische Trägheit (Fesseln!) in der Praxis an den Tag zu legen (d. h. selbst eine Art Sirene zu werden...)

      Löschen
    2. (Nachtrag)
      Der spezifisch tödliche Sound der Sirenen wäre so gar kein anderer, als der Klang eines allzuendlichen Differenzniveaus (und singen sie nicht tatsächlich dem Odysseus Hymnen auf dessen Identität?)

      -- Es ginge also um bestimmte Praxistypen, die diesseits des Unterschiedes zwischen Denken und Handeln anzusetzen wären: Praxistypen einer allgemeinen Differenzpraxis, die zueinander in einer mehr oder weniger graduell verschiedenen Unterscheidungsbereitschaft stünden? (Noch einmal: Unterscheidung wovon eigentlich?)

      Man scheint jedenfalls nicht darum herumzukommen im Zusammenhang mit den jetzt und hier beschriebenen Verhältnissen die "klassische" Trennung von so etwas wie Denken einerseits und so etwas wie Handeln andererseits erst einmal unscharf werden zu lassen. Auch Denken kann offenbar in einer bestimmten Weise Handeln sein, oder umgekehrt ist jedes Handeln in bestimmter Hinsicht ein Denken. Von daher wäre vielleicht eine Antwort auf die Frage zu suchen, "was genau es bedeutet, dass das Denken "in einem erheblichen Maße mit der persönlichen Identität verknüpft" sei."

      Löschen
  7. Warum diese Scheu vor dem Akzeptieren eines womöglich etwas misslungenen, vielleicht sogar etwas peinlichen Texts? Zudem: Traut Menoitios anderen Leuten nicht so richtig zu, zwischen bloßen (neutralen) und tendenziösen (eingefärbten) Deskriptionen ohne Blog-Beratung selbst unterscheiden zu können?
    Über die eigenen blinden Flecken lernt man womöglich meist durch mutiges Zuhören. D.h. man nuss ertragen, dass man andere Leute in ihrem eigenen Kommentarstil nicht diskreditiert, auch weder unter- noch überschätzt. Vielleicht haben sie aus jenen Perspektiven, aus denen sie Dinge vergleichen und zu verstehen versuchen, respektable Gründe, auf Menoitios-Thesen nicht ihre eigene Praxis und Theorie aufzubauen. Man muss diese Gründe nicht teilen. Aber wenn man sie noch nicht mal wirklich kennt, könnte Anlass bestehen, vorsichtig und umsichtig zu phrasieren. Könnte das lernbar sein, gerade in der Philosophie? Vermutung: Ja.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Welche Scheu vor welchem Text? Alle Texte sind schon da :)

      Löschen
    2. Über die eigenen blinden Flecken lernt man womöglich meist durch mutiges Zuhören. D.h. man muss ertragen, dass man andere Leute in ihrem eigenen Kommentarstil nicht diskreditiert, auch weder unter- noch überschätzt. Vielleicht haben sie aus jenen Perspektiven, aus denen sie Dinge vergleichen und zu verstehen versuchen, respektable Gründe, auf Menoitios-Thesen nicht ihre eigene Praxis und Theorie aufzubauen. Man muss diese Gründe nicht teilen. Aber wenn man sie noch nicht mal wirklich kennt, könnte Anlass bestehen, vorsichtig und umsichtig zu phrasieren. Könnte das lernbar sein, gerade in der Philosophie? Vermutung: Ja.

      Löschen
    3. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

      Löschen
    4. (Ich würde das eine nachdrückliche Bekräftigung des Gesagten nennen, dem durch Wiederholung unumwunden zugestimmt sein sollte. Für alles andere Problemerledigende bevorzuge ich direkte Kommunikation.)

      Löschen
    5. Ich auch. À la prochaine!

      Löschen
  8. "Ich denke, also weder die Praxis noch das Denken sind per se flüssig oder fest, die Hoffnung bleibt in der Büchse."


    "Philosophie 18. Juli 2012 00:08

    Du bist nicht gut genug.

    Denn Festes und Flüssiges gehen Hand in Hand. Man muss sich nicht entscheiden. Entscheiden muss immer nur der andere, Verspätete, Betroffene.

    Es gehört sicher auch zum "längsten Irrtum" dazu, geglaubt zu haben, Entscheidungen stünden am Anfang.

    Wer Ernst macht mit der eigenen Unentschlossenheit, Unentschiedenheit, Unentscheidbarkeit, hat immer schon gewonnen - und behält vor allem seinen Humor, der ja bekanntlich auch Flüssiges ist."

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. würde mich interessieren, welcher "womöglich etwas misslungenen, vielleicht sogar etwas peinlichen Text" nicht akzeptiert worden ist? Oder doch akzeptiert, aber nur mit Scheu?

      Die Unterscheidung zwischen "bloßen (neutralen) und tendenziösen (eingefärbten) Deskriptionen" obliegt wohl immer nur dem einzelnen Beobachter, dabei kann auch die beste Blog-Beratung nicht behilflich sein.

      In diesem speziellen Fall handelte es sich allerdings um eine korrigierende Selbstbeobachtung, wenn ich richtig sehe, die auf die Resonanz einzugehen versuchte, die einen nicht-intendierten Textton beobachtete und hier tatsächlich auf einen blinden Text-Fleck hinwies.

      Löschen
    2. Der Drehbuchautor29. Juli 2012 um 16:48

      Das subalterne Gespenst: "Ich glaub´ er hat den Köder geschluckt..., auf drei springst du aus deinem Versteck, klar?"

      Epistemische Gewalt: "Geht klar, Boss, hähä!"

      DSG: "1..."

      Löschen
    3. Gelassener Autor29. Juli 2012 um 17:13

      Zur inzwischen schon schwitzenden epistemischen Gewalt, gerade aus ihrem Versteck gesprungen: "Ick bün al dor!"

      Löschen
  9. Aus einem alten Pro-spekt:29. Juli 2012 um 16:56

    alles nur heimliche Reclame..

    MOR:

    AntwortenLöschen
  10. Einer, der weiß, was hier los ist29. Juli 2012 um 23:19

    Es geht um Angst. Viele hier haben Angst. Ich kann das aus fast jedem der geschriebenen Worte wie Benzin in mich einsaugen. Sie wollen Andere besiegend beschreiben. Sie wollen aber nicht selbst beschrieben werden. Sie wären nicht bereit, sich selbst zu beschreiben. Was sie nicht kennen, sie können es sich nicht einmal vorstellen, ist die Freundschaft zu ihren Charakteren. Die ist das Schwierigste.

    Alle Autoren im Herzen schreiben sie daher auch keine Romane, sondern Verrisse. Das Geheimnis eines Kritikers.

    AntwortenLöschen
  11. Merkurios_Klotz31. Juli 2012 um 11:55

    Der Text ist doch ein Zitat. Der klaut sich eine alte Text-Geste und wiegt die nachdenklich in seiner Text-Hand und streut eine reichlich bemessene Prise Postmoderne-Salz drüber, damit man das nicht gleich bemerken soll.

    Was bedeutet diese Geste? Das sollte man sich doch fragen!

    AntwortenLöschen
  12. Eine späte Antwort @menoitos.
    Zunächst mal, ich denke auch, dass die Unterscheidung Praxis / Denken eigentlich nicht trägt - obwohl ich sie selbst andauernd verwende. Das hat in meinem Fall etwas damit zu tun, dass ich mich im Denken sicherer und freier fühle, als in der Praxis, aber genau das wollte ich mal in Frage stellen. Das war also eine recht egoistische Provokation und ich versuche gleich mal zu beschreiben, wie Denken ganz flexibel und luftig funktionieren kann.

    Warum nun 'bin ich, was ich denke'? In der Tat, das war und ist eine Intuition und ich kann sie jenseits banaler Feststellungen schwerlich erklären.
    Daher erst eine kleine Anekdote. Vor ein paar Tagen hörte ich ein Gespräch im Radio mit einem Wirtschaftsfach'mann'. Der erklärte, dass Niedriglöhne sehr wichtig seien, weil ohne diese die Unternehmen die Arbeitsplätze gar nicht hätten schaffen können und die betroffenen Leute gar keine Arbeit hätten, was bekanntlich krank und unglücklich macht. Nun riefen in dieser Sendung reihenweise Leute an, die mehr oder minder elaboriert erzählen, dass sie von diesen Löhnen nicht leben können oder konnten und diese ihre Situation also eine Unverschämtheit finden. Am Schluss fragte der Moderator, ob ihn, den Wirtschaftsfach'mann' diese Schicksale denn persönlich berühren würden. Der darauf antwortete, dass er großen Respekt vor diesen Leuten habe, die für so wenig Geld so hart arbeiten. Von 'berühren' keine Rede.

    In diesem Denken fehlt die Qualität, die Beobachtungsgabe und die Offenheit, die es interessant gemacht hätten. Das Problem besteht nicht darin, dass er der Gewohnheit folgt, zu unterstellen, dass das Gedachte von allen anderen auch gedacht werden kann (und der Unterstellung, dass andere das auch unterstellen: Stichwort Universalismus). Aber wir finden doch mehrere Möglichkeiten, mit dieser Unterstellung umzugehen. Der besagte Fach'mann' hat seinem Denken die Berührung mit anderem Denken (aufgrund anderer Erfahrungen) entzogen und die von Niedriglöhnen betroffenen Leute taten das vielleicht ebenfalls. Mit dieser Möglichkeit der Berührung meine ich nun nicht, dass man im Denken auch Meinungsverschiedenheiten als solche wahrnehmen und stehen lassen kann. Sondern die Möglichkeit, zu variieren, weil jemand (ein Du) etwas beigesteuert hat, was nicht zum eigenen Denken gepasst hat.

    "Ich bin, was ich denke" soll bedeuten, dass zu denken ein spezielles Privileg darstellt (etlichen Leuten fehlt die Zeit und die Kraft dafür, die Probleme drücken zu sehr), mit dessen Hilfe ich mich in der Welt, also zu anderen, positioniere. Ich erkläre mir etwas so oder so, kann dazu dies oder jenes sagen. Andere denken eben anders über Menschen, Ereignisse und Dinge und immer wieder bricht sich mein Denken an dem anderer. Darauf kann ich mit Verschließung reagieren, mit Nachplappern, besonders wenn jene anderen Macht auf mich ausüben können. Ich kann mich auch öffnen und mich durch die Berührung bewegen lassen, aber nicht beliebig weit und intensiv. Einer der größeren Irrtümer der Denk-AnarchistInnen und BefreiungsdenkerInnen ist es aus meiner Sicht, dass sie bei aller Berechtigung der Forderung, 'das Denken müsse die Richtung wechseln', weil es das doch könne, übersehen, dass ein Mindestmaß an Solidität und Wiederholung, meinetwegen Bestandssicherung, nicht zufällig in jedem Denken zu finden ist. Was die Leute denken und sagen, vor allem auch, wie sie es sagen, das wiederholt sich bis zu einem gewissen Maße immer, weil sie ja irgendwomit anfangen müssen. Mit dem, was sie schon wissen und wie sie zu sprechen gelernt haben. Unzulängliche Bilder wären: wenn ich irgendwo hin gehen werde, brauche immer einen Ausgangspunkt, selbst wenn das Ziel noch gar nicht festgelegt ist; wenn ich mich bewegen (lassen) will, braucht es doch eine gewisse Masse, wie den Körper, denn ich kann mich nicht als Nichts bewegen lassen.

    So viel erst Mal, sonst wird's hier einfach zu lang.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das sagt mir sehr zu, das Geschriebene. Ich antworte ebenfalls assoziativ, dem Gesagten - so weit mir von hier aus möglich - nachgehend. Zur "Berührung mit anderem Denken" fällt mir der Begriff "Tangiertheit" ein:

      Tangiertes (oder auch: tangibles) Denken könnte vielleicht ein Denken sein, das Angänge durch Anderes noch kennt, sich nicht, noch nicht, nicht mehr in die Selbstabschließung zurückgezogen hat (oder auch dazu von seinen Umständen genötigt wurde). Ich kann mir auch vorstellen, dass ein solches Denken seinerseits ein großes Privileg ist und von Bedingungen abhängt, die sehr konkret, sehr real, sehr situativ sind. Sind die nicht gegeben, bleibt eine universalisierte Forderung nach "Befreiung des Denkens" ihrerseits steril, stärkt, festigt und unterstreicht ein so invisibilisiertes Privileg ("Hey, macht doch auch mal! Ist echt ganz einfach!"). Ich selbst sehe auch eigentlich nicht, wohin so ein leerer Aufruf zum schlichten Anders-Denken, zur Denk-Umwendung eigentlich führen sollte. Sicher, er hat die bilderstürmerische, avantgardistische Euphorie des "Wir machen es anders" für sich. Aber die allein trägt ja eine Bewegung meist nicht besonders weit, sofern sie nicht nur "Happening" sein möchte. Was mir vorschweben würde wäre, niederschwellige Angebote zur Selbstentsicherung, Einladungen zur Tangibilität zu machen, nicht doktrinär, sondern invitativ. Dabei würde es gerade darum gehen, in einen Bereich der gegenseitig Tangiertheit hineinzugeraten, der etwas mit dem Erschrecken vor der Abgründigkeit jedes Anderen als selbstbeweglicher Wachsamkeit zu tun hätte.

      In diesem Sinn kann ich an den Anfang des Kommentars hier am Ende anknüpfen. Das KM selbst verstehe ich seinerseits als eine "egoistische Provokation" im beschriebenen Sinn. Ich käme (selbst) nicht auf die Idee, für blanke Nicht-Verortung zu werben. Ich würde allerdings versuchen, zwischen existenzieller emotiver Selbstverortung und theoretischer Positionierung einen Unterschied - ja, was eigentlich - einzuführen oder zu behaupten? Jedenfalls stelle ich mir vor, dass "Berührung mit anderem Denken" eine Selbstentsicherung voraussetzt, die immer auch ein gewisses Maß an Selbstgefährdung einschließt. Womit wir wieder bei der Frage wären, wer sich so etwas überhaupt "leisten" kann, ob es dazu nicht einer Grundmasse, Grundsicherheit bedarf. Auf welcher Ebene müsste/könnte die zu finden sein?

      Löschen
    2. Man kann die Frage vielleicht auch etwas anders, z.B. mediterraner, also unter weniger nordisch-wolkigem Himmel stellen: so, dass man Worte wie "Grundmasse" und "Grundsicherheit" zwar kennt, auch einordnet, aber beim Denken nicht anstarrt (Fluch der Optik-Prävalenz in der Denkmetaphorik; Musik-Hören gleicht oft fast alles aus).
      "Selbstentsicherung" klingt klug danach, als wären "Sicherungen" wirklich verlässliche, fast mechanische Eigenschaften von Menschen, bloß keine nötigen. Vielleicht aber sind Sicherungen eher Sehnsüchte, nicht Eigenschaften; und "Selbstgefährdung" eher der Alltag eines homo sapiens, den viel erreicht.
      Kurzum: Mit Nichts (man kann es auch "Selbstgefährdung" nennen) kommt man, mit Peilung und etwas Glück, recht weit, oft sogar an. Erklären kann man das nur Skeptikern.

      Löschen
    3. selbstentsicherung ist eine dynamische sprengtüte keine eigenschaften und der kopf ein klotz, sprengkopf. pfirsiche im garten. hmmjamm. gemüsegärtner pflegt alles schon drei lange paprikabrutzeiten. aber dann, peng. rasensprenger. alles kalatsch, auf eimal paweg.

      und was macht er dann?

      Löschen
    4. Er verzweifelt. Oder setzt Eigenschaften ein. Musil hat das wohl auch getan, nur nicht viel darüber geschrieben.

      Löschen
  13. Aha, da ist das Wort, das vieles zusammenfassend trifft: "selbstbewegliche Wachsamkeit". Exakte Beschreibung von Menschen, die Vertrauen sparen - nicht auf Konten, nicht für Zinsen, sondern, mental-prospektiv, für die froh "Ergänzenden", auf welche man, weil man von ihnen am besten verstanden und kritisiert wird, eigentlich wartet. Wer zudem noch schafft, "selbstbewegliche Wachsamkeit" als (quantitativ vermutlich begrenzten, qualitativ aber dann doch vorsichtig lockeren) Dialog einzurichten, hat ein im Ansatz gutes Leben, oder? (Grüezi in die Schweiz!)

    AntwortenLöschen