Donnerstag, 12. Januar 2012

Erwachen und Einschlafen -- Für eine Philosophie des Sich-nochmal-Umdrehens




Nachdem durch Husserl und Kant bereits erste Spuren einer Philosophie des Gähnens in formalwissenschaftlicher Tönung zusammengetragen sind, kommen nun zwei erzählende Philosophen einschlafend und aufwachend zum Zug:

Einschlafen:
An uns selbst sind wir noch leer. So schlafen wir leicht ein, wenn die äußeren Reize fehlen. Weiche Kissen, Dunkel, Stille lassen uns einschlafen, der Leib verdunkelt sich. Liegt man nachts wach, so ist das gar kein Wachsein, sondern zähes, verzehrendes Schleichen an Ort und Stelle. Man merkt dann, wie ungemütlich es mit nichts als mit sich selber ist.
(Ernst Bloch, Spuren)
"Vermutungen über das Erwachen":
Wieder sorgt ein Morgen dafür, daß es mich geben wird. Eine helle Brise geht durch das Halbdunkel; im Zimmer erscheinen die Vorzeichen eines Etwas, das sich durch Geräusche von Tätigkeiten melden läßt. Dieses Sein -- oder wie immer das, was sich da rührt, sonst heißen könnte -- verhält sich kaum anders als Eltern, die sich keine Mühe mehr geben, leise zu sein, wenn für die Kinder die Zeit zum Aufstehen gekommen ist. Die Geräusche werden angreiferisch, um nicht rücksichtlos zu sagen. So mag die Welt im übrigen sein, was sie will, sicher ist nur, daß sie etwas ist, was seinen Betrieb vor mir beginnt. Die Lichtfliegen lassen sich an den Augenlidern nieder, sie werden nicht aufhören, ihr Quälgeisterwerk wahrzunehmen, bis sie die Augen dazu gebracht haben, ihren Widerstand gegen den Tag aufzugeben. Ich bin durchdrungen von der Ahnung, worauf die Szene hinauswill. Zu oft habe ich, was bevorsteht, durchgemacht, als daß ein Mißverständnis über den Ausgang der Sache möglich wäre. Ich weiß, was sie vorhaben -- sie wollen mich, daran ist kein Zweifel, wieder zu mir bringen. Längst habe ich verstanden, daß in der Nacht die dunkel gekleideten Bademeister zwischen den Schlafwannen auf und ab gehen und gegen Morgen, oder wenn sie sonst meinen, den Stöpsel herausziehen. Während das Schlafwasser abläuft, kommt langsam der Körper wieder und fühlt sich als eine vage Tendenz, die bald dieses und jenes tun soll -- man wird es handeln nennen, wenn man erst wieder auf den Füßen steht.
(Sloterdijk, Weltfremdheit)

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