Samstag, 9. Juli 2011

Der elf-köpfige Soziograph auf Bildungsreise XXI: Ein verweigerter Kommentar zum Bachmann-Preis

[...] Anderer Winkel wird eingenommen. Nichts Neues zu sehn...trotzdem, Wege legen sich nah. Brücken über niedrige Straßenkanäle. Ströme aus Pausenbrot, Kinderbacken, schweren Gefährten, eine Autobahn, eine brummende Urlaubskiste auf dem Weg in den Süden, Eltern drehen Gesichter der Rückbank zu, dann nur noch schale Karossen, durch Bäume geschoben. Hinten geht einer an der Baumgrenze, Martin, das Gatter geht auf, Gänse: ob schmaler Gehweg oder fern ersehnte Heerstraße: er sucht einen Anhaltspunkt, an dem entlang er sich dem erschütternden Schauspiel der Unbeholfenheit vor der Tafel entwinden kann. Nikolas neben ihm faltet die drei Kritiken auf: in kleinen Locken ziehen die Wolken davon, gewitterliche Arabesken glitzern naturschön, als wollten sie jemanden damit provozieren, in einen zögernden Schlund. Quiesel, gedankenlos hingemalte, blaue Röhrenfigur, bringt euch das Lesen bei. Die Lehrerin weint. Martin drückt mit einem Grinsen das Fenster auf: ich kann von hier aus gar nichts sehen. [...] Der elf-köpfige Soziograph schaltet die Übertragung ab. Kurioses beim Bachmann-Preis. Popps gedrungener Vortrag, besser schöner der geschriebene Text. Der elf-köpfige Soziograph zögert, zitiert nur ein vielversprechendes Gedicht:

O elefantischer Pan im Porzellantrakt der Musen
hinter den Schleiern suchst du Gesang, übst dich
in Gedanken: »Wir sind
                                ein Gespräch«, sagst du, »Wir sind
                                                                                   Elefanten«

und bist ganz allein mit diesen Sätzen
einsamer als Dialoge, Dickhäuter
einsamer als die Elektrogeräte des Weltalls

stromsparende Lampen, Wärmepumpen
verwahrlost und hungrig nach Liebe kommen sie
langsam heran aus dem unendlichen Dunkel

an deiner Raumkapsel, ihren geheimen Sprossen
an deinen klugen Händen und Knien
deinen schlafenden Füßen, geträumten Flügeln
reiben sie ihre Felle aus Chrom und Kunststoff …

Die angelernte Hilflosigkeit der Gegenstände
Unmöglichkeit einer Berührung

das Lied, unter seiner Nachtmütze aus Sternen
bewegt es den einsamen Boiler, den irrenden
                                                                Ventilator
dein irrendes Auge
auch

in eine Nestgemeinschaft ohne Strom
ohne Gedanken
nur gravitierende Körper, ihre beinahe
staatenbildende Panik vor dem Winter.

Steffen Popp [lyrikline.org]

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