Donnerstag, 21. Februar 2013

Peter Sloterdijk im Interview mit Peter Voß


"Gemeinsame Grobianismen"

1 Kommentar:

  1. Mit Loriot (+) wäre vielleicht ein anderes dialegesthai gelaufen; grob verkürzt, als "Geisterdialog", womöglich so(?):

    Loriot (= L): Werter Herr Sloterdijk!
    Sloterdijk (= S): Lieber Loriot!
    L: Eingangs und zum Aufwärmen gefragt: Kennen Sie den Unterschied zwischen Ihnen und einem Mofa?
    S: Ja. Ein Mofa kann man frisieren.
    L: Fein. Nun zur Sache. Der Philosophie, namentlich den Urteilskräftigeren unter ihren Adepten, traut man, wie der Volksmund sagt, "dieses Gewisse" zu. Seit mehr als drei Jahrtausenden. Das ist, offen gesprochen, eine lange Zeit. Daher jetzt, um keine weiteren Jahrhunderte zu verschleißen, die eher kurze Frage: Brauchen wir mehr Kosacken?
    S: Meine Analyse wäre, dass der Amüsierfaschismus jener Witze mit allzu kurzen Beinen heute in sein längst verdientes Ende ausläuft. Seit antiker Zeit hat man die Wahrheit lange entweder zynisch von sich weg oder ironisch vor sich hin gelogen. Heute muss man, um mindestens eines von zwei potentiellen Spielbeinen auf dem Feld der niveauvollen Argumentation und Selbstorientierung fit zu halten, der Wahrheit stante pede gewachsen sein. Mir will scheinen, dass dies psychopolitisch zwar kein historisch, aber doch kontextuell neues, neuestes Stadion für alle Athleten des vitalen Denkens beschreibt.
    L: Das heißt, Sie mögen zum angesprochenen Kosacken-Thema nicht wirklich deutlich Stellung nehmen?
    S: Ja, aber aus besten Gründen. Kosackentechnisch formuliert, würde sich, nach meiner Analyse, der Horizont vermutlich eher verdunkeln als aufhellen, vor dem das hier entscheidene Problem zu diskutieren wäre: Hat die Philosophie den Blues? Sind Philosophie-Treibende maximal Blues Brothers and Sisters? Oder rockt Philosophie nach wie vor, nur eben heute anders und diffuser als vorzeiten?
    L: Da hätten Sie ja fast den Jazz vergessen?
    S: Längst nicht nur, zudem auch Heavy Metal, Funk, Rap und anderes. Aber grundsätzlich bin ich mehr für Swing. Bing Crosby steht mir musikalisch näher als Ella Fitzgerald.
    L: Womit wir beim Kern der Sache wären. Wie findet Philosophie, die heute an der Zeit ist, ihren Ton?
    S: Philosophie ist keine Pasta, die man, verschönt durch Zutun der richtigen Soße, um eine Stimmgabel wickeln könnte - oder auch nur so wollen sollte. Töne sind, physikalisch gesehen, Schwingungsphänomene, im Medium heißer wie kalter Luft. Das heißt: Philosophie verstummte, als worst-case scenario, nur dann, wenn ihr die Lüfte ausgingen. Sie dürfte entsprechend also noch nicht einmal, wie bei Zizek, furzen können. Aber es scheint nachhaltig unwahrscheinlich, dass es zu einer solchen völligen Armut an Optionen, also zu einer Philosophie als trauriger Wissenschaft, kommt.
    L: Warum?
    S: Philosophie, klassisch imprägniert, hat eine Neigung und Eignung zur Produktion von grübelnder Wucht wider Unklares. Gemeint ist jene Mächtigkeit, die Gegenkräfte wider die Schwerkraft des vorerst, oft auch bloß vorläufig Irritierenden provozieren kann - und somit Freiräume des Denk- und Lebbaren schafft, also des Faktischen von morgen oder übermorgen, und sie mit einer gewissen Erfolgschance unterlegt. Philosophische Prosa besteht entsprechend oft aus freiräumender, auch eher nach Schwarzpulver statt Weihrauch duftender Sprache, aus Spreng-Sätzen, aus Logoi mit Zündschnur. Denker sind, jedenfalls die emphatischen unter ihnen, einerseits pflichtbewusst bei der freiwilligen Feuerwehr der Vernunft, andererseits aber lieber und sogar meist hauptamtlicher bei den Feuerwerkern des freien Geistes: bei jenen also, die ohne Brandstifter zu werden, durchaus Zünder von Blitzen und nötiger Helle (altfränkisch: "Aufklärung") zu sein sich anschicken.
    L: Was ist dann Philosophie?
    S: Par excellence der Ort der Arbeit an geistiger Entzündungswucht, licht- und klärungsfunktional.
    L: Ist nur das Philosophie?
    S: Nein. Aber ohne das wäre alle Philosophie nichts, ein Nullnummern-Logos.
    L: Merci.
    S: A vous.




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