"Welche Karte lag zuerst?" |
Wenn es nun in der Philosophie keine Forschung im eigentlichen Sinne gibt, so gibt es doch statt dessen etwas anderes, was in der Physik und der Geschichte so gut wie unbekannt ist. [...] Philosophen kritisieren stets einander und ihre Vorgänger sorgfältig und geschickt. Ein großer Teil ihrer Diskussionen und Veröffentlichungen ist in diesem Sinne sokratisch: eine Gegenüberstellung von Auffassungen, die durch gegenseitigen kritischen Vergleich und Analyse herausdestilliert worden sind. Daß die Philosophen gegenseitig ihr Waschwasser trinken ist zwar eine unfreundliche Charakterisierung, aber es trifft etwas Wesentliches [...].
(Thomas Kuhn)
Als Methode der Theorieproduktion bewährt sich Kritik, wo immer zu kritisierende Inhalte bereits vorliegen. Diese werden durch die Prüfvorrichtungen des kritischen Apparats hindurchgeschleust: dann funkeln die bunten Fehlerdetektoren und melden tapfer jeden logischen Fauxpas und jede unangemessen unscharfe Unschärfe. Kritik ist immer ein laufendes Strafverfahren mit wahrscheinlicher Schuldigsprechung des Angeklagten.
Sofern es dabei die Theorie ist, die auf der Anklagebank Platz
genommen hat, ist Kritik selbst gar keine Theorie -- sondern deren Beobachterin.
Für sich genommen ist der kritisch-analytische Apparat daher keine synthetische Methode, kein Weg, auf dem man zur Erfindung neuer Ideen und Inhalte gelangt. Ausgerüstet mit dem kritizistischem Werkzeug alleine lassen sich allenfalls sich locker selbsttragende hypo-thetische logische Luftbauten realisieren, faszinierende Hüpfburgen des Geistes -- Mathematik zum Beispiel.
Der größte und vielleicht einzige Nutzen aller Philosophie der reinen Vernunft ist also wohl nur negativ; da sie nämlich nicht, als Organon, zur Erweiterung, sondern, als Disziplin, zur Grenzbestimmung dient, und, anstatt Wahrheit zu entdecken, nur das stille Verdienst hat, Irrtümer zu verhüten.
(Kant, KdrV)
Die Frage ist also nicht, ob Kritik (Verstanden als systematische Analyse interner logischer Konsistenzen und deren Aufweis) ein gutes Verfahren ist oder nicht. Die Frage ist, wo herkommen soll, was dann diesem Verfahren entweder ausgesetzt wird oder nicht -- die Ideen und Inhalte. Die Theorie setzt nicht mit der logischen Ableitung an. Sobald sie abzuleiten und auf Konsistenzen zu prüfen in der Lage ist, sind alle wichtigen Entscheidungen schon gefallen, die Karten schon verteilt. Von da an knobelt die Theorie ("puzzle-solving", Kuhn) oder stellt zumindest ihr Knobeln dar:
Wir mir scheint, werden in zunehmendem Maße (zumal soziale, universitäre Praxis es unablässig verlangt) die (Kartei-)Karten gewissermaßen heuchlerisch gezinkt, damit jeder einzelne Fall rhetorisch zu einem "Streitfall", einer quaestio, wird. Es ist wie beim Kartenspiel. [...] Wir hingegen mischen die Karten und geben sie aus, wie sie kommen.
(Roland Barthes)
"dann funkeln die bunten Fehlerdetektoren und melden tapfer jeden logischen Fauxpas und jede unangemessen unscharfe Unschärfe."
AntwortenLöschen--> "(...) und würde unter dem Druck einer begriffsdefinitorischen Überprüfung in sich zusammenfallen."
Woody Allen says:
AntwortenLöschenWell, I still remember the day when I found out that I agree with Kant. It was on a Thursday.
But I also remember the week when I asked myself if I could also, at least partly, agree with Nietzsche:
"Ein Philosoph: das ist ein Mensch, der beständig ausserordentliche Dinge erlebt, sieht, hört, argwöhnt, hofft, träumt; der von seinen eigenen Gedanken wie von Aussen her, wie von oben und Unten her, als von seiner Art von Ereignissen und Blitzschlägen getroffen wird; der selbst vielleicht ein Gewitter ist, welches mit neuen Blitzen schwanger geht; ein verhängnisvoller Mensch, um den herum es immer grollt und brummt und klafft und unheimlich zugeht. Ein Philosoph: ach, ein Wesen, das oft von sich davon läuft, oft vor sich Furcht hat, - aber zu neugierig ist, um nicht immer wieder zu sich zu kommen."
F. Nietzsche, KSA Bd. 5, S. 235