Mittwoch, 24. Oktober 2012

Über den schrecklichsten aller Trolle - Ein persönlicher Nachschlag zur #Trollcon


***Nachträglich eingeschobene Warnung: Der Text enthält mitunter Ironie***


Der Troll kann - wenn er nur raffiniert genug ist - fast immer und überall provozieren. Beobachtet er nur genau genug, wer aus welcher Motivation wie was sagt - und vor allem: wie was nicht sagt - wird er die Schwachstellen finden, die Andere (konkrete oder beliebige, je nach gewählter Strategie) zur Weißglut treiben werden. 

"Cyber-Zeiträuber-Troll"
[Ich gebe diesem Text nun eine persönliche Note:] Ich fühlte mich auf der Trollcon tatsächlich nur in einem Augenblick getrollt: Und zwar, als sich nach dem Vortrag über Trollfeminismus eine Diskussion darüber entfaltete, ob Männer und Frauen nun unterschiedlich seien oder doch eher nicht, ob die Wissenschaft da vielleicht Beweise in der Tasche habe oder ob die Steinzeitvorzeit vielleicht feste Rollenmuster mit Mentalkeilschrift tief in unsere Gehirne eingekeilt habe oder ob nicht doch alles Wesentliche am Ende ja wohl ansozialisiert sein müsse. Diese Diskussion [die Diskussion, wohlgemerkt] war in der Tat so furchtbar fruchtlos, dass ich mich von ihr bis ins Mark provoziert fühlte. Ich wünschte - dabei eindeutig körperliche Impulse in mir aufsteigen fühlend - ihr Ende herbei, fühlte mich versucht, sie mit einigermaßen wütenden Zwischenrufen lächerlich zu machen, undsoweiterersmehr. Die Unordnung, das chaotische Hin- und Herverweisen auf je natürlich bezweifelbare Evidenzgrundlagen erschien mir unerträglich und so ganz offensichtlich hoffnungslos, in der Zeitspanne unserer Leben unmöglich einer "Klärung" zuführbar, dass ich meine Wut kaum unterdrücken konnte. Ich war von dieser Furchtbarkeit also offenbar getrollt worden. [Ende des Versuchs, dem Text einen persönliche Note zu geben.]

Worauf dieser Umstand verweist, ist die Frage nach dem Phantasma, das hinter der Trollpraxis insgesamt steht: Welche Situation wird implizit von den Trollen anvisiert, was ist die positive Utopie, die hinter dem Trolling als Provokationspraxis aufscheint? Ich glaube, es ist die Vorstellung der Unverwundbarkeit, man könnte auch sagen: die Vorstellung absoluter Immunität
"The willingness of trolling “victims” to be hurt by words [...] makes them complicit, and trolling will end as soon as we all get over it."
Immunität wäre hier also verstanden als die Vorstellung einer Universalversicherung, die gegen alle möglichen antizipierbaren Schäden schon im Vorhinein so versichert, dass diese Schäden nicht einmal mehr eintreten könnten. Der Untrollbare wäre also durch keine mögliche Situation mehr provozierbar. Beim Dadaisten Hugo Ball findet sich eine solche Vorstellung im Hinblick auf die Frage, wie man ("heute noch!") Literatur schreiben könne:
Es gilt, unangreifbare Sätze zu schreiben. Sätze, die jeglicher Ironie standhalten. Je besser der Satz, desto höher der Rang. Im Ausschalten der angreifbaren Syntax oder Assoziation bewährt sich die Summe dessen, was als Geschmack, Takt, Rhytmus und Weise den Stil und den Stolz eines Schriftstellers ausmacht.
 (Die Flucht aus der Zeit, 1927)
Die Frage ist nun einfach: Ist die Hoffnung, die wir haben sollten, tatsächlich, uns am Ende alle "untrollbar" und unangreifbar zu machen? Ganz darüber hinwegzukommen, uns durch Worte verletzen zu lassen? Ich glaube: Nein. Und der Grund ist ziemlich einfach: Zeit. Nein und Zeit also. Wir [jeder, ich zumindest] haben einfach keine Zeit, Furchtbarkeiten allzu oft und allzu lange über uns ergehen zu lassen. Im Internet stellen sich hier kaum Probleme: Man kann virtuelle Räume sehr leicht und ohne großen Wind verlassen, wenn Kommunikation zu langweilig wird und man sich lieber anderswo mit Interessamterem beschäftigen will. Probleme mit Trollen entstehen in der "Analog-Welt": Wenn man einer Sache beiwohnt, die schlichtweg zu schrecklich ist, ihr länger Zeit zu schenken, gleichzeitig aber die vorgestellten (sozialen) Kosten des Abbruchs der Situation (durch Verlassen, Störung oder auch Zer-störung) im Augenblick zu hoch erscheinen, als dass man der Situation wirklich entkommen könnte. Der furchtbarste Troll ist also derjenige, dem es gelingt, andere unausweichlich einer Furchtbarkeit über unangenehm lange Zeitspannen hinweg auszuliefern: Die aktive Nötigung zur Zeitverschwendung. Nichts provoziert schrecklicher. Es gibt Ereignisse, Diskussionen und Situationen, die offenbar einer Beledigung der Zeit selbst gleichkommen. Aber auch der Zeiträubertroll macht vielleicht hierauf erst aufmerksam: Die alltägliche Sinnlosigkeit des Verstreichens von Zeit. Hiervon provozierbar zu bleiben scheint allerdings eher gesund als lächerlich zu sein.

19 Kommentare:

  1. Wie meinst du das: »so ganz offensichtlich hoffnungslos, in der Zeitspanne unserer Leben unmöglich einer "Klärung" zuführbar«? Mir scheint, die Diskussion wäre sehr schnell einer Klärung zuführbar gewesen, wenn man genau hätte sagen können, was man meint, wenn die Zusammenhänge präsent gewesen wären und nicht einfach diffuses Halbwissen.

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  2. Genau, das glaube ich auch. Das Problem scheint mir zu sein, dass eine solche Art von "Klärung" ein Gesprächsklima voraussetzt, das sich nur in sehr isolierten und überschaubaren Situationen herstellen lässt, die Zeit und vor allem den Willen zur Verständigung brauchen. Man könnte vielleicht zwei verschiedene Begriffe von "Klärung" unterscheiden: "Klärung" in idealen Gesprächssituationen, und "Klärung" in diffusen und zeitbeschränkten Gesprächssituationen, bei denen auch die Kontinuität der Beteiligten nicht auf Dauer gewährleistet ist.

    An erstere glaube ich, wenn das Ergebnis auch häufig sein kann, dass man sich auf ein kritisches Abwägen von Plausibilitäten einlässt, die verschieden stark von Voraussetzungen abhängen - aber das kann zumindest schon einmal von vorschnellen Urteilen befreien.

    Letztere scheint mir aber innerhalb einer diffusen Öffentlichkeit nur schwer bis kaum herstellbar zu sein, meinst Du nicht?

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    1. Daran schließt vielleicht die Frage an, welches Verständnis von Konsens und/oder politischer Praxis wir (gerade bei einem Thema wie Feminismus und Gender-Politik) heutzutage ansetzen sollten, wenn wir denn etwas ändern wollen. Niklas Luhmann hat einmal von einer "Kultur der nichtüberzeugten Verständigung" als Ideal gesprochen, das würde ein bestimmtes Maß an permanenter Selbstverunsicherung einschließen, der sich jeder immer wieder neu aussetzen müsste - und zu dem erfolgreiche Troll-Aktionen wie der Trollfeminismus-Vortrag vielleicht wirklich etwas beitragen.

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  3. "Genau, das glaube ich auch", dass du das glaubst. Ich glaube aber auch, dass die Hoffnung auf Klärbarkeit selbst keine Klarheit hat. Denn was wäre in der Diskussion klärungsbedürftig gewesen? Dass es Männer und Frauen gibt? DASS es diesen Unterschied gibt? Worüber wäre zu sprechen, gäbe es ihn nicht? Und wenn es ihn gibt, ja, warum um alles in der Welt werden dann "Männer und Frauen" problematisiert und nicht der Unterschied? Durch welchen Unterschied wird dieser unterscheidbar? Und wenn diese Frage überflüssig wäre, um Klarheit wäre trotzdem möglich: was dann? Also: was geschieht oder: was ist anschließend unklar geblieben.

    Diese Hoffnung auf Klarheit ist infantile Leichtgläubigkeit es kritischen Subjekts, das sich - in seinem Wahnystem der Vernunft befangen - immer selbst als geklärt, aufgeklärt voraussetzt, und dies entgegen aller Empirie, welche durch die kritische Diskussion entsteht und darauf aufmerksam macht wie unklar alles tatsächlich ist.

    Das trivial gewordene kritische Subjekt ist der Troll. Und dass du deine Affektbewegungen nicht nur bemerkst, sondern jetzt unverblümt, ungeschönt und schmalos verbreiten kannst, zeigt doch an, in welche Richtung das kritsche Subjekt stürzt: es entfaltet sich auch noch in seinen intimsten Heimlichkeiten öffentlich, und stellt dann fest, dass das alles auch egal ist. (Beispiel: nude self shots, die nicht vergleichbar sind mit einer kommunikativen Symbiose aus Exibitionismus Voyeurismus, sondern sind interpretierbar als Versuche der "totalen Selbstkritik".)

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    1. "Ich glaube schon, daß es unterschiedliche Rassen gibt. Zumindest, solang es die daran glaubende Masse gibt."

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    2. Der Punkt mit der "totalen Selbstkritik" gefällt mir (obwohl ich einschränkend zu bedenken gebe, dass der Text seine exhibitionistische Tendenz selbst als Inszenierung transparent zu machen scheint).

      Allerdings glaube ich, dass es in der Diskussion sehr vieles gab, das wirklich klärungsbedürftig gewesen wäre, was allerdings im Rahmen einer Nachdiskussion eines Vortrags nicht zu bewältigen ist, wie ich denke. Es hätte etwa geklärt werden können, wer je wie welche Prämissen in seinen Äußerungen voraussetzt, wie valide die Ergebnisse jeweils sind, etc. Das ist aber innerhalb von zehn Minuten nicht möglich.

      Was zu hoffen bliebe, ist, dass die Diskussion Irritation gestiftet hat, die das diskutierte Thema selbst (die Unterscheidung von Geschlechtern) betrifft. Ob das allerdings der Fall war, wage ich zumindest zu bezweifeln.

      [Der Zweifel steht stets am Schluss, nicht am Anfang einer Auseinandersetzung]

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  4. fühlte mich versucht, sie mit einigermaßen wütenden Zwischenrufen lächerlich zu machen, undsoweiterersmehr. Die Unordnung, das chaotische Hin- und Herverweisen auf je natürlich bezweifelbare Evidenzgrundlagen erschien mir unerträglich und so ganz offensichtlich hoffnungslos, in der Zeitspanne unserer Leben unmöglich einer "Klärung" zuführbar, dass ich meine Wut kaum unterdrücken konnte.

    Konnteste ja anscheinend doch, also wird wohl doch nicht so schlimm gewesen sein.

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    1. ("sie" bezog sich auf die diskussion. zum rest: genau)

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    2. Genau:

      http://www.youtube.com/watch?v=bzWd1uXAoN4

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    3. Exactly! All men are created equal(ly):

      http://www.youtube.com/watch?v=yQj2NP25TIo

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    4. Which doesn't hold for trash:

      http://www.youtube.com/watch?v=ohjqwN8N30w&feature=related

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    5. Right:

      http://www.youtube.com/watch?v=PpgGwGIqccc&feature=related

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    6. Anyway:

      http://www.youtube.com/watch?v=r4B90Knx57w

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  5. Vielleicht kann man die Transzendental-Trollologie: die Theorie der Bedingungen der Möglichkeit des Trollens und Getrollt-Werdens, noch etwas weiter entfalten.
    Vorerst nur zwei kleine vektoriale Vorschläge hierzu: Kann man z.B. die Doppelfrage stellen, warum Trolle eigentlich (mitunter fast "krank" wirkende?) Freude am Trollen und Getrollte mitunter (fast "gesund" scheinenden?) Ärger über ihr Getrollt-Werden empfinden? Kommen beide konträren "Parteien" womöglich aus so unterschiedlichen sozialen Welten und Sozialisierungskontexten, dass Trollen und Getrollt-Werden auch etwas mit einem micro-clash of civilsations zu tun haben könnte? Wieviele Trolle, wieviele Getrollte sind eventuell emotional leicht oder schwer geschlagen mit unbewältigten persönlichen Erfahrungen und Situationen? Wieviele Getrollte sind schlicht erstaunt und erschrocken über die Banalität und noch unvollkommen überwundene Analität des Niveaus von Troll-Kommunikation? Wieviele Trolle sind arroganter als die Getrollten - und vice versa? Wieviele Trolle sind, internet-use-bedingt, zunehmend impotent für den kompetenten Umgang mit den Sozialstandards der Analog-Welt (in der sie z.B. zwar aufs Klo gehen und ihr Handy checken, aber zunehmend nicht mehr die "wirklich zählende Welt" vermuten)? Wieviele Getrollte blenden noch immer mächtig aus, dass das ganze Social-Mediale der Netzgemeinde letztlich vom Zugang zu funktionierenden Steckdosen abhängt und davon, dass der Strom nicht ausfällt?
    Das Internet spricht den Steinzeit-Menschen in uns an, den Jäger und Sammler - diesmal vielleicht vor allem im Blick auf mentale Wohlfühlmomente: "Man kann virtuelle Räume sehr leicht und ohne großen Wind verlassen, wenn Kommunikation zu langweilig wird und man sich lieber anderswo mit Interessamterem beschäftigen will." Trolle übertragen das womöglich allzu flott und allzu eng auf die "Analog-Welt": Sie bürden Anderen durch diese doppelte Reduktion, manchmal auch durch fehlenden Respekt und Stildefizite, mindestens potentiell soziale Kosten auf, die sich umgekehrt für sie selbst kaum als öffentlich brauchbares soziales Kapital realisieren. Wenn das stimmt, macht Trollen letztlich arm.

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  6. "Wenn das stimmt, macht Trollen letztlich arm" - ja. Aber was wäre, wenn das nicht stimmt?

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    1. Der schlauste Sokrates26. Oktober 2012 um 11:48

      Ich weiß, was ich wüsste, wenn ich nicht wüsste, was ich weiß.

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    2. Lieber Kollege Kusanowsky,
      wenn Trollen letztlich nicht arm, sondern reich macht, würden mehr Kapitalisten trollen. Was wäre, wenn das stimmt, so für die eigentliche Menschheit gewonnen?

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  7. Kusanowsky hat jetzt oft genug klar gemacht, dass der Glaube an Klärbarkeit infantiler Leichtgläubigkeit entspringt. Wer das nicht wahrhaben will, ist selber schuld. Klar???

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