Theoretische Phänomenzugriffe zeichnen sich aus durch einen
jeweils besonderen methodischen Zuschnitt:
TOTALISIERENDE Theorie greift (als theoretischer Riese) von
oben in Richtung der am Boden liegenden Phänomene. Als wäre die Schlacht der
Begriffsbestimmung schon geschlagen, stipuliert sie in apriorischer Manier die
Gesetze und Regeln der Phänomene, fällt ohne vorheriges Verhör über sie das
Urteil. Begriffsanalysierend – was immer noch die Suggestion einer Restempirie
irgendwie inkorporiert – geht sie aus von Gegebenem: dem Begriff als, und das
wird gesetzt, dem eindeutig zu Definierenden. Dass es im Begriff etwas gäbe,
das eindeutig zu definieren sei – das ist das Dogma der so verfahrenden
Theorie. Aber auch andersrum kann sie verfahren: Die Begriffe einfach aufrichten,
setzen und hinstellen. Sie sucht nach dem DESITUIERTEN
BEGRIFF. Von hier aus, dem desituierten, bestimmten Begriff, dem das
Phänomen entweder entspricht oder eben eher nicht, werden Devianzen sichtbar:
Das Andere, das im Begriff ausgeschlossene, die schlecht realisierte Idee, der
ABFALL des BEGRIFFS. TOTALISIERENDE Theorie sympathisiert daher immer mit der
Idee einer UNIVERSALEN GRAMMATIK. Allgemeine Regel. Apriorizität. Situationsunabhängiger
Geltung. Immer also: die Einführung
einer situationstranszendenten Referenz. („Ihr benutzt die falsche
Grammatik!“)
Totalisierende Theorie versucht immer, Schluss, den Sack zuzumachen.
SITUIERTE Theorie dagegen beginnt immer irgendwo in der
Mitte, bei einem Phänomen, einem Begriff und seiner Situation. Der Begriff ist
hier etwas, das immer schon funktioniert, Stärken und Schwächen bei seiner
Erprobung und Verwendung im Beschreibungsgelände erhält und offenbart, der mit
der Zeit handlicher wird und auch für unerwartete Verwendung zur Verfügung
steht. Begriffe sind hier lokale Entbergungswerkzeuge, Situations- und
Augenöffner. Nicht jeder braucht zum Beispiel den Begriff der „Autonomie“, um
zu erklären, was er ist und als rationaler Agent so macht. Aber manche, „nicht
alle“, können damit etwas anfangen. NICHT ALLE brauchen dieselben Begriffe. Situierte Theorie verhilft also konkret
situierten Situationsbewohnern zu lokaler Intellektion. Was jeweils
irgendwo irgendwie ist, wird durch sie und mithilfe der durch sie bereitgestellten
Begriffe besser sicht- und behandelbar. Sie konstelliert Gegenstände und
Perspektiven um, macht Alternativen transparent, öffnet situative Latenzen: Was vorher nur möglich war, soll durch sie sichtbar
werden. Situierte Theorie erzeugt daher auch keinen stabilen Corpus des
Wissens. Sie stellt betroffenen Situationisten in ihren Begriffen Werkzeuge und
Übungsroutinen bereit – Weltbewältigungs-Knowhow. Sie macht die Welt sichtbarer.
Situierte Theorie bandelt, zettelt also immer irgendwas Neues
an.
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