Samstag, 2. Februar 2013

Der Dilletant - ein Inkompetenz-Überkompensator

"Jeder Mensch ist ein Stümper" - Ein berühmter Beuys
The Labyrinth at Kennedy Park Dunure
(Andrew Guthrie) / CC BY-SA 2.0
Jedes philosophische Problem hat die Form: ich kenne mich nicht aus - und jede philosophische Lösung hat das Problem: Was nun? Sich auszukennen und den Weg raus zu finden muss überhaupt möglich sein, soll die Philosophie eine positive Aufgabe haben. Das heißt, um im Bild zu bleiben: Es muss eine sinnvolle Unterscheidung zwischen einem Drinnen und einem Draußen des Problems möglich sein: Innenseite des Problems ("Oha, jetzt steck ich aber im Schlamassel.."), Außenseite des Problems ("Karren aus dem Dreck gezogen."). Wer Probleme so beschreibt, dass Auswege sichtbar werden ("Der Fliege den Weg aus dem Fliegenglas zeigen"), kann philosophische Probleme lösen.

Das heißt für die Philosophie zweierlei: Zuerst muss sie ihre Leser davon überzeugen, dass sie überhaupt ein Problem damit haben, dass sie sich an einem bestimmten Ort nicht auskennen. Leuchtet ihnen das nicht ein, wird niemand sie überzeugen, dass Philosophie jetzt hier für sie irgendwie wichtig ist. Ein Philosoph, der komplizierte Labyrinthe baut, um seinen Adressaten dann mit triumphierendem Fingerzeig auf seine Konstruktionen zuzusagen: "Tretet ein: hier kennt ihr euch auf keinen Fall aus!", bleibt mit seiner Attraktion oft alleine wie ein einsamer Schreier auf magischem Jahrmarkt. Es muss ihm -- wenn ihm das denn ein Anliegen ist -- schon gelingen, seine Zuschauer weit genug ins Labyrinth zu locken, um ihnen dann von draußen seine geographische Kenntnis anzupreisen ("Ich hol euch da wieder raus!"). Er kann hier vielleicht auf den Schauer der Desorientierung setzen, der manchen Menschen behagt, die -- vom Gewöhnlichen gelangweilt -- auch sonst gern mit Ver-rückungen kokettieren: Lust am Ungewohnten, Reiselust, Angstlust, Rätsellust.

Er muss dann allerdings auch mit der Verlegenheit umgehen, Lösungen für Probleme anzubieten, die er selbst erst gemacht hat. Vielleicht sind es überhaupt nur seine Probleme -- und er hat, indem er sich immer weiter in sie verstrickte, schlichtweg vergessen, dass es nur seine Probleme waren, die er jetzt für allgemeine philosophische hält: Wer keine Probleme hat und sich auch nicht davon überzeugen lässt, dass er gerne welche hätte, braucht daher auch keine Philosophie. Leichter kann sich der Philosoph_In tun, wenn er Orientierung für Desorientierungen anbietet, die seine Adressaten selbst schon empfinden, oder empfinden müssten, sobald man sie darauf hinweist. Das Problem der mangelnden Faszination für selbstgemachte Probleme stellt sich nicht, wo es durch die Unvermeidbarkeit des Problems ersetzt ist -- man hat es dann allerdings auch mit Lebensrätseln und nicht mit irgendwelchen irgendwie für irgendwen interessanten Fragen zu tun. Denn mit der "Beantwortung sämtlicher Fragen" sind "nicht etwa die vom Leben uns gestellte Aufgabe schon gelöst". "Die Lebensrätsel aber sind keine Fragen, sondern Situationen des praktischen Lebens.“ (Rudolf Carnap)
Nicht der viel weiß, ist der, der Orientierungsfragen beantwortet, sondern der, der lebensformbezogen für sich schon die geheimnisvolle Grenze zwischen Wissen und Können überschritten hat.
(Mittelstraß)
"Lob der Torheit"
Und hier kommt -- aber nur jetzt und hier -- der Dilletant [sic!] ins Spiel: Wer nicht genug Zeit zu Vorbereitung und Ausarbeitung seiner Lösungen hat, der muss sich bewusst dilletantisch an die Bewältigung seiner Probleme wagen. Das heißt auch: Der Dilletant kennt sich nicht aus, und er weiß, dass er sich nie wirklich auskennen wird -- aber: er fängt trotzdem damit an. Das Trotzdem-Anfangen zeichnet den Dilletanten vor dem militanten Philosophen aus, der seine Probleme erst bis ins Letzte verstanden wissen will, bevor er mit irgendetwas anfängt. Der Philosoph, so verstanden, muss keine Lösungen verkörpern, er kann seine ganze glorreiche Ratlosigkeit als messerscharfe Problemanalyse formulieren und den Dilletanten dafür kritisieren, dass er auf einige Eventualitäten auf keinen Fall vorbereitet ist. Der Dilletant dagegen weiß um seine grundsätzliche Inkompetenz, die Probleme letztgültig zu lösen und richtet sich stattdessen in provisorischen Lösungen ein, wartet ab, ob bei Gewitter der Zeltboden nass wird und sucht dann nach weiteren vielversprechenderen Möglichkeiten. Während der Philosoph von der Vorstellung lebt, unendlich viel Zeit zu haben, um alle Probleme zu lösen, richtet sich der Dilletant im Provisorischen ein, um mal zu schauen, was auch von hier aus schon möglich ist.  
Der Einfall eines Dilettanten kann wissenschaftlich genau die gleiche oder größere Tragweite haben wie der des Fachmanns. Viele unserer allerbesten Problemstellungen und Erkenntnisse verdanken wir gerade Dilettanten. Der Dilettant unterscheidet sich vom Fachmann – wie Helmholtz über Robert Mayer gesagt hat – nur dadurch, daß ihm die feste Sicherheit der Arbeitsmethode fehlt [...].
(Max Weber)
Der Dilletant lässt seine vorläufigen Skizzen stehen, bis die Umstände ihn dazu nötigen, sie noch ein Stück weiter auzuführen

[Leseempfehlung dazu: Azzouni/Wirt (Hrsg.), Dilettantismus als Beruf, Berlin 2010]
[Re-Entry vom 10.07.12]

8 Kommentare:

  1. ich weiß,,, datt isch nischt weisss

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  2. "Das Trotzdem-Anfangen zeichnet den Dilletanten vor dem militanten Philosophen aus, der seine Probleme erst bis ins Letzte verstanden wissen will, bevor er mit irgendetwas anfängt."

    Oh, wunderbar. Danke! Da stellt sich mir die Frage, warum eigentlich die PhilosophInnen sei so vielen Jahrhunderten von den Dilletanten kaum etwas gelernt haben. Bis ins Letzte versteht der Mensch ein Problem doch nie und so kann jene Militanz als Hindernis zum Leben betrachtet werden.

    Weil nun solche Vermutungen natürlich viel mit meinem Lebensthema zu tun haben kann ich auch mal etwas aussprechen, was ich mich sonst nicht traue: Philosophie ist doch letztendlich gar nicht Problemlösend, sondern einfach Anthropologie. Was kann der Mensch, was soll der Mensch, wie wird der Mensch, wie ist er geworden? Vielleicht hat also die Philosophie doch einen Gegenenstand, ist nicht nur Methode - ich weiß, diese Ausdrucksweise ist old-fashioned. Dann behaupte ich auch gleich mal, dass Theorie dann wieder einen Sinn hat und auch die Politik berührt.

    Jedoch, es ist der Montagmittag.

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    1. Ich wäre von dem ebenfalls gar nicht so weit weg. Sofern klar ist, was genau der Gegenstand der Anthropologie ist, also, der Mensch, natürlich, aber, der Mensch wie und als was?

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    2. Vielleicht ist Kimberra dann doch noch näher dran. Anthropologie, als logos über den anthropos, firmiert idealtypisch tatsächlich gerade nicht als Diskurs über spezifisches Als-was- und Wie-Menschsein, sondern über Menschsein tout court und unbeschränkt, dimensionenübergreifend. Zu Differenzierungen findet man hier dann auch; unterwegs.
      Startete Anthropologie beschränkter: Wäre sie eine? Insofern ist sie unter den Lebensthemen sicher eines der intellektuell wie experminentell geräumigsten, erkenntnisempfänglichsten. Mehr noch: Wer überhaupt denkt, hört mit Anthropologie vermutlich am spätesten auf.

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    3. was immer das dann bedeuten sollte

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    4. Das klingt diffamierend. Ist das so gemeint?

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    5. nein. wie sollte es das. es zielte nur auf die wiederholung der frage: wie bestimmt man den gegenstand der anthropologie? eine solche bestimmung schließt eine beschränkung und konkretion notwendig mit ein (hermeneutischer zirkel), sofern die anthropologie von anderen wissenschaften überhaupt als sie selbst unterschieden sein soll. diese kritische reserve, der oben kritisch reserviert begegnet war, wollte ich nur unterstreichen.

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