Montag, 23. Juli 2012

Die Rache der epistemischen Gewalt I: Drei nathanische Enthüllungen


[Eine kleine Dialektik der Entstellung (nicht zur Strafe, nur zur Übung:)] 
I. Es ist schon früh wieder dunkel geworden in den noch halbbenommenen jungen Theorie-Köpfen. Während die einen in logischen Siedebecken letzten Fremd- und Selbst-Analysen entgegeneifern, ergehen sich die anderen in esoterischen, ein Fremdes, Anderes, Unfestgestelltes, Unidentifiziertes, Ununiformiertes vorsichtig umkreisenden Wort-Wellen, langsam anbrandend, immer wieder das Eine (und damit natürlich auch das Andere) wiederholend: "Du kannst nicht. Du darfst nicht. Du sollst nicht: Mach´ keine Unterschiede! Hör´ auf das Rauschen! Enjoy the silence."
"Die Party steigt immer nur in der Höhle,
nie aus"
In diesem schweren, traurigen Nein liegt ihr ganzer Furor, in ihrer "Kritik" Schmerz der alten Welt, Schmerz des Gestern, Heute, Schmerz des Morgen. Der Schmerz aller Schnitte, Schmerz der Unterscheidung  des Unterscheidens (krinein): Kritik der Kategorie, versammelt in ein paar Namen, ein paar Worten, Schlachtworte, Kriegsworte, lauter Unter- Zwischen- Mittlerkategorien, immer das Gleiche Andere Dazwischen meinend, das Andere sagend, damit es auf keinen Fall wieder das Gleiche werde, damit es nicht das Gleiche sei. All das versammeln sie und rüsten damit gegen die "Euphorie", die "Identität", den "Affirmismus", den sie -- man weiß nicht genau, wo -- schon überall vermuten, dem sie seine blöde triumphalistische Naivität endlich austreiben wollen: "Auch ihr seid nur Gefangene!" und wenn sie es könnten (blinder Fleck) würden sie ihren eigenen Ärger sehen: "Was bilden sie sich ein zu behaupten, sie seien die Fesseln losgeworden? Was bilden sie sich ein, von einer anderen Sonne "da draußen" zu sprechen? Wartet bloß ab, wir bringen euch schon wieder in die Höhle zurück: Wenn wir nicht sehen dürfen, dann darf es keiner: Die Rache der epistemischen Gewalt."
II. So und so ähnlich liest man heute immer öfter in vermeintlich revolutionärem Tonfall, deutlich hybrid, seltsam umständlich, altmodisch, ein verquaster neoromantischer Stil greift um sich, Internetwirrnis vermischt mit ein bisschen affirmativem Pop: Chaostruppe Notausgang, Einsatzkommando Spaßclub. Offenbar sind da mal wieder ein paar Lutige Mustige ausgezogen, das Abendland (oder doch lieber sein Gegenteil?) zu retten - keiner hat auf sie gewartet, keiner steht für sie Spalier, keiner abboniert ihre News-Feeds. Dabei vermuten sie (natürlich) nur die allerbesten Absichten auf ihrer Seite, haben auch ihren Derrida gelesen, ihren McLuhan und dazu einen kleinen Schuss Frühromantik und glauben nun, sich mit aus fremden Texten geliehener Energie der Verstrickung der Geschichte zu entheben -- aber sie bleiben Gefangene, auch wenn sie es nicht wahr haben wollen. Ihre blinden Flecken werden sie nicht los, die Gewalt der episteme hat sie noch immer so fest im Griff wie Kants reine Anschauungen und Kategorien das transzendentale Subjekt. Keiner kommt da raus und keiner nahm je ungestraft die Brille ab, keiner von ihn hat je lange genug den Blick auf die "Weiße des Papiers" ausgehalten, um danach noch in artikulierten Sätzen darüber zu berichten. Chaos, Chora -- sie sind zu schwach, es zu ertragen und retten sich ins Fantasma ihrer Standpunktlosigkeit zurück -- und nennen das zu allem Überfluss auch noch ihren "utopischen Aktivismus".

Und was werfen sie uns dabei vor? Dass wir "auf Adorno hängengeblieben" seien, dass Kritik am "identifizierenden Denken" "altbacken und inzwischen an jeder Straßenecke billig zu haben" sei. Dass unser "Kult um Alterität und Veranderung steril geworden" sei, wir ums goldene Kalb "eines bereits erfundenen, wenn auch nicht näher bestimmbaren Gottes" tanzten? Und von wo aus sprechen sie?
III. Solche und ähnliche Schein-Dispute entstehen, wenn man innerhalb der geisteswissenschaftlichen Theoriebildung die Logik und das Argument zugunsten "großer Worte, schöner Metaphern und krasser Theorien" in den Hintergrund rücken lässt. Theorien -- oder sagen wir lieber "Sätze, die durch ihre Anordnung und ihren Tonfall suggerieren, dass es sich bei ihnen um Theorie handeln könnte" -- die sich aber bei näherer Betrachtung allesamt "schnell als Banalitäten oder Unsinn entpuppen".
"Den sicheren Gang einer Wissenschaft gehen"
Das redliche Denken dagegen ist und bleibt sehr nüchtern, es ist keine Gaudi und keine Amüsierveranstaltung. Es ist ernsthafte Arbeit, trocken, ja, zuweilen auch dröge, dafür aber präzise und sauber, sich in kleinen (aber sicheren) Schritten voranarbeitend, statt in großen Weltvereinfachungssprüngen und mit viel Bohai über alle Regeln des Denkens hinwegzusetzen. Wir müssen uns davor hüten, diesem Denken zu viel Raum zu schenken. Dieser revitalisierte romantische Skeptizismus versucht, das redliche Denken langsam zu unterspülen, sein freundlicher Humor ist nur seine Maske der Harmlosigkeit -- sichert die Fundamente, befestigt die Deiche, damit ihre diffusen Wortwellen ihm nichts anhaben können. 

6 Kommentare:

  1. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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  2. möge sich den Sphären des Blogs hingeben und sich des professoralen'Man' entledigen.

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  3. (Tip:) Gegen lakonisches Marginalgenörgel hilft halt nur hartes Durchgreifen. Gesunde Zensurarbeit ist Diät für den Textkörper.

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    1. Tip als sehr einleuchtend empfunden, dazu zuvor schon einmal ausführlicher: "Kritisieren heißt Filtrieren"

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  4. Es heißt sechs, wenn's im Gehen noch stehst. Es ist sieben, wenn du hast dich deiner Möglichkeiten beg(i)eben. Wir waren zwölf: als Theoriedölf.

    Luhmanns irritierter Blick: „Wirtschaftsethik - als Ethik?” (In: Josef Wieland: Wirtschaftsethik und Theorie der Gesellschaft, Suhrkamp 1993)

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  5. möchte lösen, 3 Ringe:

    I.Vulgarisierter Dekonstruktivismus, beobachtet von: Postpositionalismus
    II. Geplätteter Postpositionalismus, beobachtet von: Dekonstruktivismus bis Feuilleton?
    III. Die oben genannten, beobachtet von: Szientismus

    Rückfrage: Wer ist der Herr der Ringe?
    Instantantwort: Immer ein Artist.

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