Dienstag, 10. April 2012

Goethe: Begründer des Paläo-Post-Hipsterism


JWVGS - "Brille"
Sonst vor allem als drolliges Urgestein, unheimlich-gravitätisches Hypozentrum der mitteleuropäischen Hochkultur gefürchtet und berühmt, hat schon der junge Goethe - von Fachvertretern bisher unbemerkt - die Grundsteine für ein mutiges neues Leben nach der Ironie gelegt. Der schalen Dialektik von Highbrow und Lowbrow konspirativ-kichernder Hipsterei stellt er die gelassene, nicht mehr verlachend sich distinguierend Teilnahme an den Gemütsbewegungen der unteren Schichten entgegen, das freie, nicht-herablassende Sich-Einlassen auch auf das Dumpfe, blind-glücklich-benommen Fröhliche eines "Daseyns", das "von einem Tag zum anderen sich durchhilft, die Blätter abfallen sieht, und nichts denkt, als daß der Winter kommt". Keine "White Negros" mehr, keine ironischen Vereinnahmungen der Unterschicht durch Trucker Cap und Schnauzbart. Stattdessen nun endlich wieder Dabeisein, Nicht-Distanz, Nicht-Reflexion.

Goethes Porträt des Hipsters als übermüthiger Mann ist zwar denkbar kurz ausgefallen, trotzdem beweist die Art und Weise, auf die er seine Hipster-Kritik in einer allgemeinen Kritik des Snobismus verbirgt, die Intensität, mit der schon den jungen Goethe das Thema umgetrieben haben muss:
"Die geringen Leute des Ortes kennen mich schon und lieben mich, besonders die Kinder. Wie ich im Anfang mich zu ihnen gesellte, sie freundschaftlich fragte über dieß und das, glaubten einige, ich wollte ihrer spotten und fertigten mich wohl gar grob ab. Ich ließ mich das nicht verdrießen; nur fühlte ich, was ich schon oft bemerkt habe, auf das lebhafteste: Leute von einigem Stande werden sich immer in kalter Entfernung vom gemeinen Volke halten, als glaubten sie durch Annäherung zu verlieren; und dann gibt´s Flüchtlinge und üble Spaßvögel, die sich herab zu lassen scheinen, um ihren Übermuth dem armen Volke desto empfindlicher zu machen. 

Ich weiß wohl daß wir nicht gleich sind, noch seyn können; aber ich halte dafür, daß der, der nöthig zu haben glaubt, vom sogenannten Pöbel sich zu entfernen, um den Respect zu erhalten, eben so tadelhaft ist, als ein Feiger, der sich seinem Feinde verbirgt weil er zu unterliegen fürchtet." 
(Goethes Werther)
[Re-entry vom 19.05.11]

3 Kommentare:

  1. Möchte nur darauf aufmersam machen -
    hier funktioniert der Link nicht:".. blind-glücklich-benommen Fröhliche eines "Daseyns",.."

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  2. Paläo-Post-Hipsterism plus Zeus-Entschärfung trifft den Goethe-Sound vielleicht noch genauer:

    http://www.youtube.com/watch?v=dqndXIfBoYU

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