Samstag, 28. Mai 2011

Technoide Zeitparasiten bouncen durch die Gassen bis die Sonne still steht




Oliver Kautny, Technoide Zeitparasiten - Die Überlastung der beschleunigten Welt, International Review of the Aesthetics and Sociology of Music 40.1 (2009), 129-154:

"Analyse

Mit ca. 137 bpm liegt Red I im Rahmen der Tempokonvention des Genres Techno. Dieses Tempo bleibt knapp fünf Minuten konstant, im Rahmen eines klassischen Techno-Sets Mitte der 1990er Jahre darf angenommen werden, dass das Tempo wahrscheinlich kaum mehr als zwischen 130 und 150 bpm geschwankt haben dürfte, und das ist z.B. bei einem Set des DJ-Stars Richie Hawtin heute auch noch so. Wäre Tempo die einzige Referenz fur Zeiterleben, wäre wie oben bereits erwähnt, die Analyse an dieser Stelle schon beendet. Ich will aber im Folgenden versuchen, die komplexen und z.T. widersprüchlichen Potentiale der verschiedenen Merkmale/Merkmalsrelationen dieser Musik herauszuarbeiten.

a. Bass-Drum

Fundamentalstes und scheinbar banalstes Element ist die in Red I bis zum Break nahezu durchgehend hörbare Bass-Drum, die nach dem genretypischen Four-to the-Floor-Prinzip im Viertelmetrum durchläuft. Kein Merkmal dieser an sich schon repetitiven Musik ist derart minimalistisch und von der Wiederkehr des Gleichen geprägt. Dies ist der basale Bewegungsstimulus fur das monotone auf der Stelle Stampfen der Raver, das Fundament für unendlich treibendes Tanzen, das jederzeit die Gefahr der Langeweile und Monotonie, aber zugleich auch die Möglichkeit eines gesteigerten Körpergefühls in sich birgt. Diese zyklische Zeitstruktur reduziert die Ereignisdichte auf ein Minimum und steigert die Erwartungsstabilitat, nach Rosa eine zentrale Voraussetzung für das Erleben von Gegenwart ohne Zeitdruck, zu einem Maximum.

[...]

[Analyse des Gegenrhytmus:] Während man einen kurzen Impuls mit extrem kurzer Einschwingphase gestochen scharf wahrnimmt, werden die im Stereopanorama verhallenden (Sechzehntel?-)Synkopen (Viertel = 137) entgrenzt und unscharf.

[...]

[Fazit:] Das Cluberleben von Techno kann - das wird auf den ersten Blick deutlich - eine Gegenwelt zur geschichtlichen, biographischen und alltäglichen Sphäre des Zeitverlustes erschließen, eine Zeitoase, in der beschleunigte sowie zeitohnmächtige Menschen Zeit zurückgewinnen können."

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