[Re-load vom 3.12.11]
Mein Genie ist in meinen Nüstern..(Nietzsche, Ecce Homo)
(Aufschlingende und verschlingende Vernunft konstellieren sich im Denkraum |
Wenn die "Zeit der großen Einzelnen" vorbei ist, Originalität nicht mehr nur unwahrscheinlich, sondern generell als ein Effekt der historischen Selbstverwischung der Kulturen entlarvt ist, müssen Kunst und Geisteswissenschaft andere Leitorientierungen finden. Die Philosophie//Theorie kann sich nicht länger an der Vorstellung festhalten, dass sie das Denken weiter entwickelt, dass sie heute besser und in klareren Synthese begreift, was Vorgängergenerationen nur durch trübe Linsen zu sehen bekamen; und die Kunst kann nicht länger glauben, dass sie einer historischen Linie vorgezeichneter -- oder doch zumindest re-spektiv so erscheinender -- Notwendigkeiten in der Gestalt von Großgeistern [resp. Genies] ihre Wege bahnt. Zu wenig konnten die einzelnen Künstler wahrnehmen, um alles Wesentliche in ihre Werke einfließen zu lassen, zu wenig konnten die Theoretiker lesen, um in ihren Texten das Ganze dessen, was schon gedacht war, weiterzuschreiben. Wenn die Zuschreibung von Originalität selbst als eine Frage des vorausgesetzten Horizontes erkennbar wird, muss auch der Glaube an den eigenen Fortschritt, der in den Naturwissenschaften noch einen einfachen, an der Kontrollierbarkeit der Phänomene festzumachenden Sinn besitzt, aufgegeben werden. Natürlich, man kann sich gegen so etwas hier wie überall re-naivisieren:
Wer [immer noch am alten Fortschrittsglauben festhält] - und man kann das natürlich, wenn man Bücher schreibt oder Kongreßreferate hält - begründet dies [meist überhaupt nicht, sondern tut am besten so, als könnte alles einfach weitergehen wie bisher].
(nach Luhmann, Soz.Sys.)
Weiter an den Dingen schreiben und arbeiten, an denen man halt so schreibt und arbeitet: Als ob die Philosophie//Theorie und die Kunst einfach weiter so möglich wären wie bisher. Aber Kunst und Theorie sind keine überschaubaren Großbewegungen, die in ein Schema der vernünftig aufeinanderfolgenden Epochen passen. Beide wachsen heute wilder: In die Fläche, in Untergründen, breit und gestreut, immer von vielen an vielen verschiedenen Orten zugleich voranbewegt:
Nicht zufällig haben die Werke der Gegenwart häufig relativierende Attribute um sich, sie werden leiser, fungibler, weniger epatant, biographischer, subkultureller, ironischer gegen Genialismus, skeptischer gegen Wirkung sowie Wirkungsverweigerung.
(P.S.)
Kunst und Theorie mit Befreundungs-Bewusstsein werden nicht mehr "für alle" zu sein beanspruchen, nicht mehr für alle (und auch nicht für alle und keinen); sondern für die jeweils Anderen, die sich von Ähnlichem faszinieren lassen.
Die Kunst tut sich hiermit sehr viel leichter. Gerade sie kann sich in Faszinationsgemeinschaften, denen ähnliche Stile, ähnliche Motive, ein ähnlicher Sound oder eine ähnliche Art von Unsinn behagen, sehr viel einfacher neu einrichten als das der Philosophie gelingen kann: die Kunst hat es längst; und nur die Fiktion eines weltweiten Kunstmarktes erzeugt hier noch so etwas wie die Vorstellung eines Ortes, an dem sich alle Kunstwerke mit allen anderen messen würden, um die wenigen Großen als Sieger zu bestimmen. Aber das ist ein Problem des Marktes und seiner Selbstwahrnehmung, keines der gegenwärtige Kunst. Die Philosophie dagegen tut sich schwer, ihre Ansprüche auf Allgemeinheit aufzugeben, obwohl sie inzwischen teils so selbstzerstreut erscheint, dass der Singular, mit dem man das Fach bezeichnet, als ein bloß noch historisches Erbe anmuten kann. Woran sollte man sie erkennen? Besitzt sie denn eine eindeutige Form? Einen eindeutigen Gegenstand? Wäre es nicht vielleicht angebracht, den Begriff "Philosophie" aus Respekt vor seiner altmodischen Gravität für eine Weile ruhen zu lassen, ihn zu "musealisieren" (in den Schutz der Ausstellung zu ziehen)? Man könnte derweil an seine Stelle etwas setzen, was die Freundschaft zur Befreundung meint und nicht mehr die Freundschaft zu einer bestimmten Weisheit -- "Philophilie":
Ich muß sagen, ich halte Begriffe wie Faszination, interessant, erregend für viel zu wenig beachtet in der deutschen Ästhetik und Literaturktitik. Es soll hierzulande immer alles sofort tiefsinnig und dunkel und allhaft sein [...] demgegenüber glaube ich, daß die inneren Wandlungen, die die Kunst, die das Gedicht hervorzubringen im Stande ist [...] aus dem Erregenden, dem Faszinativen hervorgehen.
(Benn, Probleme der Lyrik)
Noch einmal, anders: 'Philologie ist Zuneigung der Sprache zu einer Sprache, die ihrerseits Zuneigung zu ihr oder einer anderen ist. Darum ist Philologie Zuneigung zur Sprache als Zuneigung. Sie mag in der Sprache ihr Mögen, ihres und ihr eigenes. Sprache ist Selbstaffektion im anderen ihrer selbst. Philologie ist Philophilie.
(Werner Hamacher, 95 Thesen zur Philologie)
Daß es "Grand Theories" nach wie vor geben kann und geben sollte, ist damit nicht bestritten. Aber sie haben, wenn sie "intellektuell" zelebriert werden (was nicht sein muß), zugleich etwas Spielerisches, Künstlerisches, Selbstironisierendes an sich. Man führt eine Konstruktionsanweisung aus und sieht, wie weit man kommt.
(Luhmann, Gibt es ein "System" der Intelligenz?)
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