Dienstag, 12. Juni 2012

(Indirektes) Lob der Unschärfe - von einem, der´s eigentlich doch lieber genau wissen wollte.


("...das Wesentliche ist für die Augen...")
Wer bei der Entwicklung seiner Sprache bereit ist, von der "besonderen Beschaffenheit der Dinge" abzusehen, kann Schärfegewinne auf Kosten ihrer Weitläu- und -schweifigkeit erzielen. Das wusste auch, mit großem Problembewusstsein und metaphorischem Feingefühl, einer der Urväter der Formalisierung zu berichten, zog dabei aber - natürlich - die Schärfe der Analyse ("Formelsprache des reinen Denkens") der unscharfen "Sprache des Lebens" vor, weil die dann doch, von allzu Anschaulichem verunreinigt, zu allem bloß irgendwie mal irgendwann irgendwas zu sagen weiß, feiert ("Denn die philosophischen Probleme entstehen, wenn die Sprache feiert." Wittgenstein) und sich dann nach ungetaner Arbeit zu Bett begibt.

Daher ja auch, nach fregescher Prägung, der alte Sinnspruch: "Lieber das Auge verkannt als ein unscharfer Verstand."
Das Verhältnis meiner Begriffsschrift zu der Sprache des Lebens glaube ich am deutlichsten machen zu können, wenn ich es mit dem des Mikroskops zum Auge vergleiche. Das Letztere hat durch den Umfang seiner Anwendbarkeit, durch die Beweglichkeit, mit der es sich den verschiedensten Umständen anzuschmiegen weiss, eine grosse Ueberlegenheit vor dem Mikroskop. Als optischer Apparat betrachtet, zeigt es freilich viele Unvollkommenheiten, die nur in Folge seiner innigen Verbindung mit dem geistigen Leben gewöhnlich unbeachtet bleiben. Sobald aber wissenschaftliche Zwecke grosse Anforderungen an die Schärfe der Unterscheidung stellen, zeigt sich das Auge als ungenügend. Das Mikroskop hingegen ist gerade solchen Zwecken auf das vollkommenste angepasst, aber eben dadurch für alle anderen unbrauchbar.
So ist diese Begriffsschrift ein für bestimmte wissenschafttiche Zwecke ersonnenes Hilfsmittel, das man nicht deshalb verurtheilen darf, weil es für andere nichts taugt.
(Frege, Begriffsschrift)
Zur literarischen Metapher von Mikroskop und Guckkasten im 18 Jh. vgl. etwa "Das bewaffnete Auge" (Alexander Košenina).

3 Kommentare:

  1. Woody Allen says: Frege has never ever won a baseball game. I wonder what that means for his philosophy.

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  2. Also ich mag mein essen eher scharf. Und viel davon!
    Alles andere ist brotlose Kunst.

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    1. Dann auf zum nächsten Gewürz-Händler!

      Ich bevorzuge ja den feinsinnigen und wohldifferenzierten Geschmack, da verzichtet man gerne mal auf Sättigungsbeilagen (brotlos).

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