Freitag, 23. März 2012

Surflehrer Niklas empfiehlt: Einfach "sitzen und sich eine Bahn machen"


"Luhmann" kommuniziert mit "uns" und sucht noch (immer) nach einer Antwort auf die Frage, ob im Internet -- oder zumindest entsprechend strukturierten Hypertextsystemen -- "Kommunikation" (als Einheit von Mitteilung, Information und Verstehen) überhaupt stattfindet. Und wenn nicht, haben wir es dann in so strukturierten Netzen überhaupt noch mit sozialen Systemen zu tun?
Mein schöner neuer Hypertext
("So bauen Spinnen ihre Netze unter Drogeneinfluss")
"Dass Aristoteles mit mir kommuniziert" ist eine Vorstellung, die also gleichsam schreibtischspezifisch ist und nicht unbedingt in die Alltagssprache übernommen werden kann. [...] Eine letzte und ganz offene Frage, auf die ich überhaupt keine Antwort weiß, ist, ob wir mit Kommunikation auch noch dann rechnen, wenn auf Serialität verzichtet wird. Wenn man also Computerinformationssysteme hat, wo man sich fallweise etwas heraussucht, was man selbst dann neu kombiniert, wo gar nicht ein Satz auf den anderen folgt, sondern eine Information da ist und dann ein Spektrum von Verweisungen auf andere Informationen gegeben ist und man sitzt und macht sich eine Bahn und ruft auf den Bildschirm, was man dazu braucht, ohne eigentlich zwischen Information und Mitteilung unterscheiden zu können. Man ist wieder Beobachter erster Ordnung, man drückt auf bestimmte Knöpfe und dann kommt ein bestimmter Text zum Lesen und dann muss man irgendwie da was draus machen, gibt das vielleicht in den Apparat zurück, ohne dass bei diesen modernen -- wie heißen die? -- "Hypertextsystemen" mit Eigennamen markiert wird. Und es entwickelt sich eine Masse von Anregungen mit riesiger verdeckter Absorption von Unsicherheit und ebenso riesiger Erzeugung von Unsicherheit in der Auswahl und -- wer kommuniziert jetzt mit wem?  
(Luhmann, Theorie der Gesellschaft (Autobahnuniversität, MC 13b))
[Re-entry 12.10.11]

15 Kommentare:

  1. Interessant! Yet, you tell me, Nick Lueman: Funktioniert nicht etwa auch Ästhetik, erst recht Design so, dass man nie sicher weiß und auch garnicht präzise wissen muss, wer hier mit wem faktisch kommuniziert (= kurz: Sinn prozessiert), obgleich Kommunikation gerade hier maximal wahrscheinlich ist, weil und solange es Ästheten und User gibt? Vielleicht ist der Hypertext eben Text als soziales System von Zeichen und Verweisen eher als bloß Text tout court. Wäre dem so, könnte man fragen, inwiefern das Konzept "soziale Systeme" analog erweitert werden kann im Blick auf sinnproduzierende Ensembles, die eine "Masse von Anregungen" generieren - ohne "riesige" verdeckte Absorption von Unsicherheit und ebenso ohne "riesige" Erzeugung von Unsicherheit in der Auswahl. Unsicherheit ist doch eher bei Dezisionen als bei Anregungen ein Thema. Anregungen, die "greifen", sind vielleicht kontingent im Sinne von "Tyche-haft"; aber verunsichern sie wirklich eher, als dass sie Orientierung unterm Strich wahrscheinlicher machen?

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    1. Im Medium Hypertext dann also doch "Kommunikation". Aber mit welchen Alters werden die Textstücke markiert, wenn sie gar nicht mehr mit Eigennamen markiert sind? Oder sind sie es doch? Wer ist "Wikipedia"? Wer ist "Anonym"? Mitteilung oder Information? "Robot" oder "echter" Alter? Wird er den Turing-Test bestehen? Und wenn ein echter Alter beim Test durchfällt und ein Robot nicht? Aber wer soll das unterscheiden, wenn sich der echte Alter durch sich dumm Stellen als Robot ausgibt und der Robot andersrum (durch sich schlau Stellen?)?

      Das Internet ein Chinesisches Zimmer?

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    2. Kurze Rückfragen: Müsste Alter, wenn er/sie/es mit hinreichender Wahrscheinlichkeit kaum Ego (auch kein schizo-alter ego) sein dürfte, zusätzlich zwingend noch mit Eigennamen "markiert" sein, damit Kommunikation möglich wird oder möglich bleibt (um Kommunikation ging es ja im Ursprungspost offenbar vor allem)? Langt nicht schon weniger: schlicht Text, gerne auch Hyper-Text, sinnprozessiert? Meint "anonym" nicht einfach: ohne Eigenamen, aber doch mit Text zu kommunizieren? Sind "Wikipedia" und Ähnliches nicht bestimmte, immer versuchsweise und oft effektive schwarmintelligente Varianten hiervon? Und schließlich: Enttarnt man sich im "Chinesischen Zimmer" des Internet nicht doch spätestens dann, wenn man während der ganzen Zettelleser- und -schreiberei nie schriftlich einen frischen Tee bestellt?

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    3. "Anregungen, die 'greifen', sind vielleicht kontingent im Sinne von "Tyche-haft"; aber verunsichern sie wirklich eher, als dass sie Orientierung unterm Strich wahrscheinlicher machen?"

      Das klingt nach einem guten Punkt! Dass Luhmann überhaupt von "Anregungen" spricht, überrascht. Das ist wohl kein systemtheoretischer, sondern eher ein lebensweltlicher, klar auch alteuropäischer Begriff. Hätte Nick, mit sich selbst konform, nicht stimmiger in etwa von (positiven) Irritationen reden müssen? Man sieht oder ahnt: "Luhmann" ist überhaupt kein Eigenname, sondern "Kommunikation" von und mit Oerlinghausen, bei der man einfach sitzen (wenn möglich: nicht im Knast) und sich eine Bahn machen muss.

      Dank und Gruß an Menoitios! So sollten Blogs sein!

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    4. Vielleicht muss man ganz so weit nicht gehen, zu behaupten: "Luhmann" ist kein Eigenname. Aber man kann die Luhmann-Schüler und die Luhmann-Leser sicher ganz redlich fragen, ob sie präzis wissen, wer ihr Lehrer bzw. Autor war, als er schrieb.

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    5. Luhmann hätte wohl auf solche Fragen - kühl grinsend - geantwortet. Aber seine Schüler und Leser?

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    6. Weiter am Postskriptum zu Platon schreiben (ANW). Dank und Gruß @Anonym -

      P.S. Das Ereignis findet statt.

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  2. Also "Text-Personen"? Gibt es im Netz kommunizierende - bloße - "Text-Personen" (wie bei Deleuze "Begriffspersonen")?

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    1. Was heißt "bloße" Text-Personen? Der Person-Begriff hat eine Etymologie, die Text-Personen geradezu ursprünglich erscheinen lässt. Wer sind bloß die ganzen anderen Leute mit den Eigennamen?

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    2. "Wie ist das Wort persona abzuleiten? Daß es ursprünglich das Abbild der Götter und die Maske des antiken Theaters bedeutet, gibt keine Lösung. Ist der Maskenträger aktiv mit personare oder passiv mit personari in Beziehung zu setzen? Die Maske des griechischen Theaters hatte ein Schallrohr, durch das der Schauspieler zum Publikum sprach. Der Mime, der hohe Töne von sich gibt, könnte als Persönlichkeit gelten. So faßte noch vor kurzem C. G. Jung (in ›Psychologische Typen‹) die Persona als täuschendes Individuum auf, das sich mit seiner Maske identifiziert. Auch Erasmus, beim Beginn der (reformatorischen) Individual- und Original-Tendenzen setzt Persönlichkeit gleich Maske, erlogenes Antlitz, wenn er dann auch widersprechend die angeborene Gestalt als die echtere, der anderen, verlarvten (personatus), die nur auf der Nachahmung der Vorbilder beruhe, entgegenstellt.

      Sehr im Gegensatz zu diesen beiden Auffassungen steht indessen eine dritte, die den Begriff der Maske auf das ganze Kleid, auf den Überwurf bezieht und an die magische Auffassung dieses Überwurfes bei den Alten erinnert (das Löwenfell des Herakles, das Seelenkleid des Gnostikers). Die Tier- oder Göttermaske prägt danach den Kern des Helden, der die höhere oder die physisch stärkere Person anzieht. Es handelt sich hier nicht mehr um ein Mimikry des Schauspielers und Nachahmers, sondern um die magische Identifikation mit einem kreativen übermenschlichen Wesen, das den Menschen, der vorher nur Sinn und Materie war, im Innersten prägt und erhöht. Vico vertritt diese Auffassung. Persona kommt nach ihm nicht von personare, durchtönen, sondern von personari, Festkleider anlegen." (Der Künstler und die Zeitkrankheit)

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  3. "Festkleider"? Warum nicht auch das: Dress-Code für Text-Personen!

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  4. Anony meint, dass der die mitteilungsmaschine nich so leicht zu ermitteln is. Könnt aber doch gehen. Das internet hat ja auch Adressen. IPadressen.
    Aber ich (?) muss dann doch noch intervenieren. menschen kommunizieren ja nicht! Nur Soziale Systeme kommunizieren. Genausowenig wie ein Mensch mit einem andern kommuniziert, kann auch kein Mensch mit wikipedia als Sozialem System kommunizieren. Wohl aber schon: lärmen.

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    1. Sprache spricht. Kommunikation kommuniziert. Impulse impulsen. Adressen adressieren.

      Sie blühet, weil sie blühet - die Kommunikation.

      Und wir?

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    2. Wir kriegens mit und schreiben uns einen Zettel für unseren Zettelkasten zum Thema "figura etymologica" Querstrich "Tautologie" Querstrich "Systemtheorie".

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  5. Aber Adressen können füreinander erreichbar sein, insofern kommunizieren (= soziales System). Lärm ist da vermeidbar. Is auch ganz schön so.

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