Sonntag, 5. Mai 2013

Euer schiefes Verständnis von Ironie ist der Grund für meinen wachsenden Unmut


"Les Jardiniers du Possible" (CC BY-NC 3.0)
Als ich noch DERRIDA bezog, wuchsen zwischen meinen Regionen vermutlich noch authentische Kühe und widerlegten gelegentlich Ursprungsmythologeme. Sie waren natürlich kultiviert, irgendwelche Selbsttechnologien hatten aus ihnen etwas gemacht. Ihre Haltung war teilweise schief. Ich vermute, dass einige an irgendeiner Stelle falsch abbogen: Genealogie fatal. Diese Haltungsschäden wirst du später nie mehr los. Verlorene Schafe. Jedenfalls, als einen Abend die Diskussion auf einmal hitziger wurde und einige insistierten: Ironie sei ja Teufelszeug und ernst den anderen alles zu versuchen erklärten, platzte mir fast die Hutschnur. NIKLAS LUHMANN hatte ihnen nichts mitgeteilt, offenbar vegetierten sie wiederkäuend in ihrer gemütlichen Lektüresphäre: "Wie lang wollt ihr das bitte noch zelebrieren?", fragte einer und zitierte lieber JESSE PRINZ, erläuterte abstrakte Wahrnehmungsgehalte und meinte: DRETSKE unterscheide da ja zwischen digital und analog. Ich nehme wahr: euren stinkigen Muff. Ein anderer wendete ein: die Antwort erst mache ja den Sinn der Frage. Einigen schien das in der Tat geistreich, aber sie wollte sich jetzt nicht mehr aus dem Fenster lehnen; es war schon spät. 

Jedenfalls, auf was das Ganze also am Ende zulief war folgende Phrase: Euer schiefes Verständnis von Ironie ist der Grund für meinen wachsenden Unmut.

Wie schaffen wir den Purzelbaum ins übernächste Quartär, wenn ihr hier so gemeinplatzmäßig, agoragemäß vor euch hin parliert? Euer ganzer Diskurs sitzt ja schon schief am Revers. Und während ihr noch geschichtsvergessen den Konsens herbeiepiphaniert ("Ich hab endlich die Lösung! - und alle stimmen mir zu."), arbeiten im Untergrund Kobolde am hypologischen Reverse: Rückabwicklung des Abendlands: Dein Traum einer eigenen Theorie gebiert bloß Monstren. 
Ironie ist: einen Klerikalen so darstellen, daß neben ihm auch ein Bolschewik getroffen ist. Einen Trottel so darstellen, daß der Autor plötzlich fühlt: das bin ich ja zum Teil selbst. 
(Musil)

1 Kommentar:

  1. Kürzlich im Sunshine auf der Agora gelesen (Scheiß-Steintafeln! Und noch ganze drei Quartäre bis zum Kindle ..-): "Nachdem Ulrich das geschrieben hatte, war er nicht gerade zufrieden damit, denn er mochte nicht haben, daß es so aussehe, als wären alle diese möglichen Wirklichkeiten gleichberechtigt. Er stand auf und durchwanderte das Zimmer. Es fehlte noch etwas von der Art einer Unterscheidung zwischen 'Wirklichkeit' und 'voller Wirklichkeit' oder der Unterscheidung zwischen 'Wirklichkeit für jemand' und 'wirklicher Wirklichkeit' oder, mit anderen Worten, es fehlte eine Ausführung der Rangunterschiede des Anspruches auf Wirklichkeits- und Weltgeltung und eine Begründung dessen, daß wir für das, was uns unter allen Umständen als wirklich und wahr gilt, einen von ausführbaren Bedingungen anbhängigen Vorrang vor dem beanspruchen, was nur unter besonderen Umständen gilt. (...) Nachdem er sich das aber ungefähr so überlegt hatte, war Ulrich auch seiner Unruhe wieder ledig und beschloß, daß es genug sei; denn was immer da noch gesagt werden konnte, war nicht ihm vorbehalten und auch nicht diese Stunde. Er überzeugte sich bloß noch einmal davon, daß in seiner Abfassung voraussichtlich nichts gegen eine genauere Ausführung verstieße, und schrieb ehrenhalber einige Worte auf, die in die Richtung des Fehlenden wiesen."
    Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Bd. 2, Reinbek 1978, S. 1195 f.

    AntwortenLöschen